Geschäftsnummer: BV.2018.1 (SVG.2019.108)
Instanz: Sozialversicherungsgericht
Entscheiddatum: 29.01.2019 
Erstpublikationsdatum: 04.05.2019
Aktualisierungsdatum: 23.11.2019
Titel: Säule 3a, Anzeigepflichtverletzung (Bundesgerichtsurteil 9C_363/2019 vom 7.10.19)
 
 

Sozialversicherungsgericht

des Kantons Basel-Stadt

 

 

 

URTEIL

 

vom 29. Januar 2019

 

 

Mitwirkende

 

Dr. G. Thomi (Vorsitz), Dr. med. W. Rühl , MLaw M. Kreis     

und Gerichtsschreiberin lic. iur. H. Hofer

 

 

 

 

Parteien

 

A____

 

vertreten durch B____   

                                                                                            Klägerin 1

 

C____

 

vertreten durch B____   

                                                                                               Kläger 2

 

 

 

D____

   

                                                                                              Beklagte

 

 

Gegenstand

 

BV.2018.1

Klage vom 17. Januar 2018

 

Säule 3a, Anzeigepflichtverletzung

 

 

Tatsachen

I.          

a) Die Klägerin 1 und der Kläger 2 sind Geschwister der am 24. Juli 1973 geborenen und am 20. Januar 2016 verstorbenen E____ (nachfolgend: Versicherungsnehmerin). Diese hatte am 21. Juni 1999 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer gebundenen Vorsorgeversicherung (Säule 3a) nach Art. 82 BVG (Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982, SR 831.40) gestellt, deren integrierender Bestandteil eine Erklärung der Antragstellerin zu ihrer gesundheitlichen Situation war (Klagbeilage [KB] 11). Die gestützt darauf ausgestellte Lebensversicherungspolice Nr. 1210.0.75087376 (KB 1) sah eine Kapitalleistung in der Höhe von Fr. 97‘017.-- im Todesfall vor dem 25. Juni 2037 oder im Erlebensfall desselben Datums vor, sowie eine Erwerbsunfähigkeitsrente in der Höhe von Fr. 12‘000.-- jährlich. Die Jahresprämie wurde auf Fr. 2‘285.70 festgesetzt, wobei drei Monate nach Eintritt einer etwaigen Erwerbsunfähigkeit eine Prämienbefreiung vorgesehen war.

b) Im Januar 2014 meldete sich die Versicherungsnehmerin bei der Beklagten infolge einer im September 2012 eingetretenen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit und gab an, sie leide seit August 2011 unter einem Sjörgen Syndrom mit NSIP Lungenbeteiligung (KB 8). Die Beklagte holte daraufhin medizinische Auskünfte ein (Bericht des Hausarztes Dr. med. F____ vom 12. Mai 2014 [KB 12]) und kündigte mit Schreiben vom 19. Mai 2014 in Anwendung von Art. 6 VVG (Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag; SR 221.229.1) das bestehende Versicherungsvertragsverhältnis unter Berufung auf eine Anzeigepflichtverletzung im Rahmen des Vertragsabschlusses. Gleichzeitig bat sie die Versicherungsnehmerin um Mitteilung einer Zahlstelle für die Überweisung des Rückkaufswertes in der Höhe von Fr. 22‘272.-- (KB 13). Vertreten durch den Advokaten B____ beharrte die Versicherungsnehmerin in der Folge vergeblich auf der Rücknahme der Kündigung (vgl. Schreiben vom 17. Oktober 2014, KB 24; Schreiben vom 1. September 2015, KB 26).

c) Am 20. Januar 2016 verstarb die Versicherungsnehmerin infolge einer Lungentransplantationsoperation. Die Beklagte wurde von deren Rechtsvertreter mit Schreiben vom 5. Februar 2016 (Antwortbeilage [AB] 5) davon in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig stellte dieser in Aussicht, die Erbengemeinschaft werde die Ansprüche der Verstorbenen gegenüber der Beklagten weiterverfolgen. Die Beklagte erteilte dem Erbschaftsamt auf Anfrage die Auskunft, der Vertrag weise kein Todesfallkapital aus, man werde den Erben den Rückkaufswert übertragen (Schreiben vom 25. Februar 2016, AB 6). Im August 2016 erfolgte die Überweisung von je Fr. 10‘568.10 an die Klägerin 1 und den Kläger 2 (vgl. AB 9). Mit Schreiben vom 6. Januar 2017 (AB 10) und vom 16. Januar 2017 (KB 32) legitimierte sich Advokat B____ gegenüber der Beklagten als Vertreter der hinterbliebenen Geschwister (Klägerin 1 und Kläger 2) und betonte, man halte trotz Auszahlung des Rückkaufswertes an die Erben am bestehenden Rechtsstreit fest.

II.         

Weiterhin vertreten durch den Advokaten B____ erheben die Kläger beim Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt am 17. Januar 2018 Klage gegen die Beklagte und beantragen, es sei diese zu verurteilen, ihnen den Betrag von Fr. 97‘017.-- zuzüglich Zins zu 5% auszurichten, Mehrforderungen werden vorbehalten.

Die Beklagte schliesst mit Klagantwort vom 23. März 2018 auf Abweisung der Klage.

Mit Replik vom 11. Juni 2018 und mit Duplik vom 16. August 2018 halten die Parteien an ihren Begehren fest.

Die Kläger nahmen die Gelegenheit, sich zur Duplik vernehmen zu lassen, mit Eingabe vom 10. September 2018 wahr.

III.       

Keine der Parteien hat die Durchführung einer mündlichen Parteiverhandlung verlangt. Am 29. Januar 2019 findet die Urteilsberatung der Kammer des Sozialversicherungsgerichts statt.

Entscheidungsgründe

1.                   

1.1.             Bei der gebundenen Vorsorgeversicherung handelt es sich um eine anerkannte und steuerlich begünstigte berufliche Vorsorgeform im Sinne von Art. 82 Abs. 2 BVG und Art. 1 BVV 3 (Verordnung über die steuerliche Abzugsberechtigung für Beiträge an anerkannte Vorsorgeformen; SR 831.461.3). Sich daraus ergebende Streitigkeiten fallen in die Zuständigkeit des kantonalen Berufsvorsorgegerichts (Art. 73 BVG). Das Sozialversicherungsgericht ist damit sachlich zur Beurteilung der vorliegenden Klage zuständig.

1.2.             Da auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Klage einzutreten.

2.                   

2.1.             Die Beklagte macht zur Begründung ihres Standpunktes im Wesentlichen geltend, die Versicherungsnehmerin habe ihre Anzeigepflicht verletzt, indem sie nicht erwähnt habe, dass sie sich wegen einer über ein Jahr anhaltenden Depression, Ermüdung und Antriebslosigkeit, begleitet von zahlreichen Weinepisoden, beim Hausarzt in Behandlung befunden habe und von diesem an einen Psychiater überwiesen worden sei. Damit habe sie eine wesentliche Gefahrstatsache verschwiegen, was die Beklagte zur Kündigung des Vertrages und damit zur Verweigerung der Leistungen berechtige.

2.2.             Demgegenüber machen die Kläger hauptsächlich geltend, es habe sich lediglich um eine vorübergehende Unpässlichkeit gehandelt, der die Versicherungsnehmerin berechtigterweise keinen Krankheitswert beigemessen und diese deswegen nicht erwähnt habe. Der Vorwurf der Anzeigepflichtverletzung ziele ins Leere.

2.3.             Strittig und zu prüfen ist, ob eine Verletzung der Anzeigepflicht vorliegt und die Beklagte infolgedessen den Vertrag kündigen durfte.

3.                   

Der Tatbestand der Anzeigepflichtverletzung beurteilt sich im Bereich der freiwilligen gebundenen Vorsorge (Säule 3a) nach den entsprechenden reglementarischen Be-stimmungen (vorliegend: Allgemeine Versicherungsbedingungen [AVB] der Beklagten „Lebensversicherung Gebundene Vorsorge Säule 3a“, Ausgabe 1997, KB 2) beziehungsweise bei Fehlen entsprechender reglementarischer Bestimmungen nach Art. 4 ff. des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908 (VVG; SR 221.229.1). Dabei sind in zeitlicher Hinsicht jene Rechtsgrundlagen massgebend, die im Zeitpunkt der zu prüfenden Anzeigepflichtverletzung in Kraft standen (BGE 130 V 9). Da die Versicherungsnehmerin die Gesundheitserklärung am 21. Juni 1999 unterschrieben hat, kommen vorliegend die bis zum 31. Dezember 2005 in Kraft gewesenen Bestimmungen des VVG zur Anwendung.

4.                   

4.1.             4.1.1. Säule 3a-Versicherer dürfen in ihren Zulassungsbedingungen Erfordernisse in Bezug auf den Gesundheitszustand der versicherten Person aufstellen und gegebenenfalls Vorbehalte festlegen. Zu diesem Zweck, und um das Risiko angemessen einzuschätzen, sind die befugten Anstalten grundsätzlich berechtigt, detaillierte Fragen über den Gesundheitszustand zu stellen, welche wahrheitsgemäss zu beantworten sind. Anderenfalls muss sich der Versicherungsnehmer die falsche Erklärung entgegenhalten lassen und muss gegebenenfalls die Konsequenzen einer Anzeigepflichtverletzung auf sich nehmen.

4.1.2. Nach Art. 4 VVG hat die antragstellende Person dem Versicherer an Hand eines Fragebogens oder auf sonstiges schriftliches Befragen alle für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsachen, soweit und sowie sie ihr bei Vertragsabschluss bekannt sind oder bekannt sein müssen, schriftlich mitzuteilen (Abs. 1). Gefahrstatsachen sind alle Tatsachen, die bei der Beurteilung der Gefahr in Betracht fallen und den Versicherer demzufolge über den Umfang der zu deckenden Gefahr aufklären können; dazu sind nicht nur jene Tatsachen zu rechnen, welche die Gefahr verursachen, sondern auch solche, die bloss einen Rückschluss auf das Vorliegen von Gefahrenursachen gestatten. Erheblich sind diejenigen Gefahrstatsachen, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, einen Einfluss auszuüben (Abs. 2). Die Gefahrstatsachen, auf welche die schriftlichen Fragen des Versicherers in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, werden als erheblich vermutet (Abs. 3). Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung weist die Anzeigepflicht des Antragstellers jedoch keinen umfassenden Charakter auf. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Angabe jener Gefahrstatsachen, nach denen der Versicherer ausdrücklich und in unzweideutiger Art gefragt hat; die antragstellende Person ist daher ohne entsprechende Fragen nicht verpflichtet, von sich aus über bestehende Gefahren Auskunft zu geben.

4.2.             4.2.1. Hat die versicherte Person beim Abschluss einer Versicherung eine für sie erkennbare erhebliche Gefahrstatsache im soeben dargelegten Sinn, nach der sie ausdrücklich und in unzweideutiger Art gefragt worden war, unrichtig beantwortet oder verschwiegen, so steht dem Versicherer nach Art. 6 VVG (in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2005 gültig gewesenen Fassung) das Recht zu, binnen vier Wochen seit Kenntnis der Verletzung der Anzeigepflicht vom Vertrag zurückzutreten. Ein Kausalzusammenhang zwischen der nicht angezeigten Gefahrstatsache und der später eingetretenen Beeinträchtigung ist nach der vorliegend anwendbaren Fassung von Art. 6 VVG nicht erforderlich.

4.2.2. Gemäss Art. 45 Abs. 1 VVG fällt die Frage nach dem Verschulden im Bereich des Art. 6 VVG ausser Betracht. Ob die Anzeigepflicht verletzt ist, beurteilt sich verschuldensunabhängig nach subjektiven wie auch nach objektiven Kriterien. Denn nach dem Wortlaut von Art. 4 und 6 VVG hat die antragstellende Person dem Versicherer in Beantwortung entsprechender Fragen nicht nur die ihr tatsächlich bekannten (von ihrem positiven Wissen erfassten) erheblichen Gefahrstatsachen mitzuteilen, sondern auch diejenigen, die ihr bekannt sein müssen. Damit stellt das Gesetz ein objektives (vom tatsächlichen Wissen der antragstellenden Person über den konkreten Sachverhalt unabhängiges) Kriterium auf, bei dessen Anwendung jedoch die Umstände des einzelnen Falles, insbesondere die persönlichen Eigenschaften (Intelligenz, Bildungsgrad, Erfahrung) und die persönlichen Verhältnisse der antragstellenden Person, zu berücksichtigen sind. Entscheidend ist somit, ob und inwieweit sie nach ihrer Kenntnis der Verhältnisse und gegebenenfalls nach den ihr von fachkundiger Seite erteilten Aufschlüssen eine Frage des Versicherers in guten Treuen verneinen durfte. Sie genügt ihrer Anzeigepflicht nur, wenn sie ausser den ihr ohne weiteres bekannten Tatsachen auch diejenigen angibt, deren Vorhandensein ihr nicht entgehen kann, wenn sie über die Fragen des Versicherers ernsthaft nachdenkt (BGE 116 V 226 ff. E. 5a/b). Auf der anderen Seite würde es zu weit führen, wenn die Aufnahmebewerberin vereinzelt aufgetretene Unpässlichkeiten, die sie in guten Treuen als belanglose, vorübergehende Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens betrachten darf und bei der gebotenen Sorgfalt nicht als Erscheinungsform eines ernsthaften Leidens beurteilen muss, anzuzeigen verpflichtet wäre. Das Verschweigen derartiger geringfügiger Gesundheitsstörungen begründet keine Verletzung der Anzeigepflicht (Urteil BGer 9C_671/2008 vom 6. März 2009, E. 3.2.1 mit Hinweis auf BGE 134 III 511).

4.2.3. Die Beweislast für das Vorliegen einer Anzeigepflichtverletzung liegt bei der Versicherung, ausserdem muss sie bei der Ausübung des Rücktrittsrechts mit der gebotenen Klarheit die Anzeigepflichtverletzung darlegen (Urteil BGer 9C_66/2008 vom 24. Juni 2008, E. 3).

5.                   

5.1.             5.1.1. Die Beklagte bringt in ihrem Kündigungsschreiben (KB 13) vor, die Versicherungsnehmerin habe es unterlassen mitzuteilen, dass sie im Jahr 1997 aufgrund einer damals seit etwa einem Jahr bestehenden depressiven Verstimmung und Nervosität von ihrem Hausarzt Dr. med.  F____ an den Psychiater Dr. med. G____ überwiesen worden sei, wo im Zeitraum vom 17. Februar 1997 bis zum 5. Mai 1997 Behandlungen stattgefunden hätten. Da diese Beschwerden bereits zum Zeitpunkt des Versicherungsantrages bestanden hätten, wären sie in den Fragen 1a, 11c und 11k zu erwähnen gewesen.

5.1.2. Frage 1a der Gesundheitserklärung vom 21. Juni 1999 (KB 11) lautet: „Wurden Sie in den letzten drei Jahren ärztlich untersucht oder behandelt?“. Die Versicherungsnehmerin bejahte die Frage und erwähnte unter dem Titel „bitte ergänzen Sie die mit «ja» beantworteten Fragen 1 bis 3“ einzig einen Check, den sie im Juni 1997 bei ihrem Hausarzt Dr. med. F____ durchgeführt hatte. Die Versicherungsnehmerin verneinte Frage 3 „Nehmen Sie regelmässig Medikamente?“ und bejahte Frage 4 „Sind Sie vollständig erwerbstätig?“. Frage 11c mit dem Wortlaut „Haben oder hatten Sie jemals nervöse Störungen, Epilepsie, Depression, Geisteskrankheiten, Nervenkrankheiten?“ beziehungsweise 11k „eine andere noch nicht erwähnte Krankheit, Gesundheitsstörung oder Verletzung?“ verneinte die Versicherungsnehmerin (KB 11).

5.1.3. Im Formular „Anmeldung bei Erwerbs- bzw. Arbeitsunfähigkeit“ (KB 8) zuhanden der Beklagten gab die Versicherungsnehmerin im Januar 2014 an, sie leide seit August 2011 unter einem Sjörgen Syndrom mit NSIP Lungenbeteiligung, infolge dessen sie seit September 2012 zu 40% in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei.

5.2.             5.2.1. In einer Zusammenstellung der Krankengeschichte, welche Dr. med. F____ im Mai 2014 zuhanden des Gesellschaftsarztes der Beklagten verfasste, erwähnt dieser unter „6. Episode“ die Diagnose einer depressiven Störung und die Überweisung an den Psychiater Dr. med. G____. Die Versicherungsnehmerin habe angegeben, es bestehe seit ca. mehr als einem Jahr eine zunehmende depressive Verstimmung und Nervosität, gelegentlich habe sie auch Durchfalls-Episoden. Er habe sie am 17. Februar 1997, 21. März 1997, 22. April 1997 sowie am 5. Mai 1997 gesehen. Damals sei sie immer noch in Behandlung bei Herrn Dr. med. G____ gewesen. Eine Arbeitsunfähigkeit habe nicht bestanden (KB 12).

5.2.2. Der Psychiater Dr. med. G____ berichtet am 21. Juli 2014, das Patientendossier der Versicherungsnehmerin sei infolge Ablaufs der zehnjährigen Aktenaufbewahrungspflicht nicht mehr vorhanden. Womöglich sei sein Konsiliarbericht beim Hausarzt noch vorhanden. Er könne lediglich das Kalendarium in Kopie edieren. Darauf finden sich die folgenden Terminangaben: „18.2.97, (24.2. B. Dr. F.), 3.3., 11.3., 7.4., 28.4., 12.5.97“ (KB 14, 15). Im erwähnten Konsiliarbericht vom 24. Februar 1997 informierte Dr. med. G____ den Hausarzt über Konflikte mit der Zwillingsschwester, dem dominanten Vater, dem Lehrmeister und am späteren Arbeitsort, weswegen sich die Beschwerdeführerin seit Monaten depressiv, müde und antriebslos fühle. Gleichzeitig lässt sich dem Bericht entnehmen, dass die Versicherungsnehmerin beabsichtigte, nach nunmehr dreijähriger Anstellung im Sommer 1997 einen Sprachaufenthalt in England zu verbringen. Der Psychiater sah eine protrahierte Ablösungsproblematik mit depressiven Inhalten und meinte, es werde nach erfolgten Probesitzungen um ein gesprächspsychotherapeutisches Aufarbeiten der Ablösungsproblematik gehen. Die Patientin schien ihm motiviert, sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen (KB 16).

5.3.             5.3.1. Die zitierten Unterlagen, welche die Grundlage für die Vertragskündigung durch die Beklagte bildeten, lassen keinen Rückschluss auf eine deklarationspflichtige psychische Erkrankung zu. Der Psychiater Dr. med. G____ sprach in seinem Konsiliarbericht vom 24. Februar 1997 – nachdem er die Versicherungsnehmerin einmal gesehen hatte – von einer „protrahierten Ablösungsproblematik mit depressiven Inhalten“. Unbestrittenermassen handelt es sich dabei nicht um eine ICD- oder anderweitig klassifizierte Diagnose mit Krankheitswert, weshalb diese unbeachtlich ist. Es entspricht vielmehr angesichts der beruflichen und persönlichen Umstände einer nachvollziehbaren Gemütslage. Dem Argument, ein behandelnder Facharzt stelle nicht bereits nach der ersten Konsultation eine definitive Diagnose, ist zu entgegnen, dass ein Psychiater eine namhafte Erkrankung aus dem Kreis der depressiven Episoden auf Anhieb erkannt und entsprechende Therapievorschläge unterbreitet hätte. Dies war nicht der Fall. Vielmehr schlug Dr. med. G____ das „gesprächspsychotherapeutische Aufarbeiten der Ablösungsproblematik“ vor, worauf es in der Folge lediglich zu vier bis fünf weiteren Gesprächsterminen kam. Weder war eine medikamentöse Therapie notwendig noch ist eine Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit ausgewiesen. Dass der Hausarzt in seiner Krankengeschichte von einer „Depressiven Störung“ spricht, ist kein Beweis für das Vorliegen einer psychischen Erkrankung. Wohl hat er als langjährig behandelnder Hausarzt erkannt, dass die Versicherungsnehmerin in ihrem seelischen Wohlbefinden beeinträchtigt war. Deshalb überwies er sie zur fachärztlichen Beurteilung an einen Psychiater, was ärztliche Routine und Ausdruck einer sorgfältigen Patientenbetreuung ist. Die Tatsache, dass der Facharzt daraufhin keine anerkannte und klassifizierte psychische Erkrankung diagnostizierte und es lediglich zu vier bis fünf Sitzungsterminen kam belegt, dass es sich bei den geklagten depressiven Verstimmungen und Nervositäten nur um eine geringfügige und vorübergehende „Unpässlichkeit“ ohne Behandlungsbedarf und ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit gehandelt haben konnte. Eine zwischenzeitliche Phase reduzierter Lebensfreude ist kein Gemütsleiden mit Krankheitswert. In der Krankengeschichte fehlen sodann Anzeichen dafür, dass es sich um eine langdauernde oder wiederkehrende Beeinträchtigung der Gesundheit gehandelt hätte. Auf eine Störung mit Krankheitswert kann aufgrund der dargelegten Dokumente demnach nicht geschlossen werden.

5.3.2. Mit Blick auf die einschneidende Folge des Wegfalls des Versicherungsvertrages sind Verletzungen der Anzeigepflicht generell nur mit Zurückhaltung anzunehmen (Urteil BGer 9C_471/2015 vom 11. März 2016 E. 5.3. mit Hinweisen auf BGE 118 II 333 E. 2b; 5C_103/2005 vom 26. September 2005 E. 2.2.; B 103/06 vom 2. Juli 2007 E. 3.3.). Bei psychischen Erkrankungen sind die Anforderungen an eine Anzeigepflichtverletzung erhöht, weil vieles vom subjektiven Krankheitsempfinden der versicherten Person abhängt und sich diese beim Ausfüllen des Fragebogens durchaus etwas begriffsstutzig anstellen darf (Basile Cardinaux, Psychische Erkrankungen in der beruflichen Vorsorge, S. 73; publ. in: LBR Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft Band Nr. 81, Psyche und Sozialversicherung, Zürich 2014). Selbst wenn also der „protrahierten Ablösungsproblematik mit depressiven Inhalten“ Krankheitswert zugesprochen würde, so musste die Versicherungsnehmerin dies nach ihrem subjektiven Verständnishorizont – der rechtsprechungsgemäss massgebend ist (Urteil BGer 9C_626/2013 vom 15. April 2013 E. 3.3.1.) – in guten Treuen nicht so sehen. Mit Blick auf die Legaldefinition des Art. 3 ATSG (Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, SR 830.11), wonach unter Krankheiten nur Beeinträchtigungen zu verstehen sind, die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordern oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben, durfte sie aus subjektiver Sicht unter den gegebenen Umständen die Beeinträchtigung ihres psychischen Wohlbefindens als belanglose und passagere Unpässlichkeit betrachten. Denn sie war damals dadurch weder in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt, noch musste sie sich einer medikamentösen Therapie unterziehen. Die Termine bei Dr. med. G____ musste sie in guten Treuen nicht als „ärztliche Untersuchung“ betrachten, da ihnen eher der Charakter einer psychologischen Behandlung zukam. Demzufolge sind die Antworten der Versicherungsnehmerin auf die Fragen 1a, 11c und 11k nicht zu beanstanden. Diese Erwägungen führen zum Schluss, dass die Versicherungsnehmerin der „protrahierten Ablösungsproblematik mit depressiven Inhalten“ nach ihrem subjektiven Verständnishorizont keinen Krankheitswert beimessen und diese nicht als anzeigepflichtige Gefahrstatsache wahrnehmen musste.

5.4.             Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Versicherungsnehmerin die Gesundheitserklärung vom 21. Juni 1999 nicht falsch ausgefüllt hat. Weiter sind keine Gefahrstatsachen ersichtlich, welche die Versicherungsnehmerin von sich aus hätte erwähnen müssen. Damit steht fest, dass keine Anzeigepflichtverletzung vorliegt und die Voraussetzungen für einen Vertragsrücktritt gemäss Art. 6 VVG nicht gegeben sind.

6.                   

6.1.             Die Versicherungsnehmerin ist am 20. Januar 2016 verstorben. Gemäss Police (KB 1) richtet die Beklagte im Todesfall vor dem 25. Juni 2037 ein Todesfallkapital in der Höhe von Fr. 97‘017.-- aus. Begünstigt sind in nachstehender Reihenfolge: 1. der überlebende Ehegatte, 2. die direkten Nachkommen sowie Personen, für deren Unterhalt der Vorsorgenehmer in massgeblicher Weise aufgekommen ist, 3. die Eltern, 4. die Geschwister. Die Kläger sind Geschwister der verstorbenen Versicherungsnehmerin und, nach dem Versterben der Mutter am 2. Februar 2016, mangels Nachkommen oder unterstützter Personen anspruchsberechtigt. Die Beklagte schuldet den Klägern demnach das vertraglich vereinbarte Todesfallkapital in der Höhe von Fr. 97‘017.--.

6.2.             Die Kläger beantragen ferner die Zusprache von Zinsen von 5% ab dem 7. März 2016. In erster Linie richtet sich die Frage der Verzugszinsen nach dem Reglement der Beklagten. Den AVB (KB 2) ist vorliegend keine reglementarische Vorgabe zur Verzugszinspflicht zu entnehmen. Bei Fehlen entsprechender Regelungen ist Art. 104 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht [OR] vom 30. März 1911, SR 220) heranzuziehen, wonach ein Verzugszins von 5% geschuldet ist (BGE 119 V 131 E. 4b; Urteil des Bundesgerichts 9C_377/2014 vom 10. Februar 2015 E. 4.3.1.; je mit weiteren Hinweisen). Reglementarische Leistungsansprüche gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts als Forderungen mit einem bestimmten Verfalltag, weshalb die Vorsorgeeinrichtung grundsätzlich in Verzug gerät, ohne dass eine Mahnung des Versicherten nötig wäre (BGE 127 V 377 E. 5e/bb; Urteil des Bundesgerichts 9C_377/2014 vom 10. Februar 2015 E. 4.3.1.; je mit weiteren Hinweisen). Im Einklang mit oben zitierter Rechtsprechung ist die eingeklagte Forderung in der Höhe von Fr. 97‘017.-- somit, der Formulierung des Klageantrags folgend, ab dem 7. März 2016 zu 5% zu verzinsen.

7.                   

7.1.             Nach den obenstehenden Erwägungen ist die Beklagte in Gutheissung der Klage vom 17. Januar 2018 zu verurteilen, den Klägern das Todesfallkapital in der Höhe von Fr. 97‘017.-- nebst Zins zu 5% ab dem 7. März 2016 zur gesamten Hand zu zahlen.

7.2.             Gemäss Art. 73 Abs. 2 BVG ist das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht in der Regel kostenlos.

7.3.             Die Kläger sind mit ihrem Leistungsbegehren durchgedrungen und haben demgemäss Anspruch auf eine Parteientschädigung zulasten der Beklagten. Der Rechtsvertreter der Kläger hat in seiner Honorarnote vom 14. Februar 2019 (Gerichtsakte 16) für das vorliegende Klageverfahren einen Zeitaufwand von 52 Stunden genannt. Das Sozialversicherungsgericht geht bei der Bemessung der Parteientschädigung für anwaltlich vertretene Versicherte in durchschnittlichen Verfahren mit doppeltem Schriftenwechsel im Sinne einer Faustregel von einem Honorar in Höhe von Fr. 3‘300.-- (inklusive Auslagen) zuzüglich Mehrwertsteuer aus. Bei einfacheren oder komplizierteren Verfahren kann dieser Ansatz entsprechend erhöht oder reduziert werden. Dem vorliegenden Fall lässt sich eine überdurchschnittliche Komplexität nicht absprechen und die Parteien haben einen ausgedehnten Schriftenwechsel geführt. Dies rechtfertigt eine Erhöhung der Parteientschädigung auf den Betrag von Fr.  4‘900.--. Gemäss Honorarnote ist ein untergeordneter Teil der anwaltlichen Bemühungen im Jahre 2017 angefallen, während der Grossteil ab dem Jahre 2018 resultierte. Folglich ist von den Fr. 4'900.-- ein Anteil in der Höhe von Fr. 600.-- mit 8% Mehrwertsteuer und der Restbetrag in der Höhe von Fr. 4‘300.-- mit 7.7% Mehrwertsteuer abzurechnen.


Demgemäss erkennt das Sozialversicherungsgericht:

://:      In Gutheissung der Klage wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin 1 und dem Kläger 2 zur gesamten Hand einen Betrag von Fr. 97‘017.-- nebst 5 % Zins seit dem 7. März 2016 auszubezahlen.

          Das Verfahren ist kostenlos.

Die Beklagte trägt eine Parteientschädigung von Fr. 4'900.-- (inklusive Auslagen), wovon Fr. 600.-- zuzüglich Fr. 48.-- (8%) und Fr. 4‘300.-- zuzüglich Fr. 331.10 (7.7%) MWSt. an die Kläger.

 

         

 

Sozialversicherungsgericht BASEL-STADT

 

Der Präsident                                                   Die Gerichtsschreiberin

 

 

 

Dr. G. Thomi                                                    lic. iur. H. Hofer

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG]). Die Beschwerdefrist kann nicht erstreckt werden (Art. 47 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegründe sind in Art. 95 ff. BGG geregelt.

Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat den Anforderungen gemäss Art. 42 BGG zu genügen; zu beachten ist dabei insbesondere:

a)            Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten;

b)            in der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt;

c)            die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat, ebenso der angefochtene Entscheid.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Geht an:

–        Klägerin 1
–        Kläger 2
–        Beklagte

–        Bundesamt für Sozialversicherungen

–        Aufsichtsbehörde BVG

 

Versandt am: