Geschäftsnummer: ZB.2022.6 (AG.2022.518)
Instanz: Appellationsgericht
Entscheiddatum: 08.08.2022 
Erstpublikationsdatum: 25.08.2022
Aktualisierungsdatum: 11.01.2023
Titel: Herabsetzung des Mietzinses (BGer-Nr. 4A_419/2022 vom 1. Dezember 2022)
 
 

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Dreiergericht

 

ZB.2022.6

ZB.2022.7

 

ENTSCHEID

 

vom 8. August 2022

 

 

Mitwirkende

 

Dr. Olivier Steiner, Dr. Claudius Gelzer, MLaw Manuel Kreis

und Gerichtsschreiber lic. iur. Johannes Hermann

 

 

 

Parteien

 

A____ AG                                                                    Berufungsklägerin 1

[...]                                                                               Berufungsbeklagte 2

vertreten durch [...], Advokat,                                                        Beklagte

[...]

 

gegen

 

B____ AG                                                                    Berufungsklägerin 2

[...]                                                                               Berufungsbeklagte 1

vertreten durch [...], Advokat,                                                         Klägerin

[...]

 

 

Gegenstand

 

Berufungen gegen einen Entscheid des Zivilgerichts

vom 28. Januar 2022

 

betreffend Herabsetzung des Mietzinses

 


Sachverhalt

 

Mit Mietverträgen vom Dezember 2003 und Juni 2004 mietete die B____ AG (Mieterin) von der A____ AG (Vermieterin) am [...]platz [...] in Basel Innenflächen von etwa 504 m2 und eine Aussenfläche von etwa 36 m2. Als Mietzweck wurde der Betrieb eines «[...]-Schnellimbiss-Restaurants oder eines gleichwertigen Betriebes» vereinbart. Am 16. März 2020 verschärfte der Bundesrat die Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung aufgrund der Corona-Pandemie. Er stufte die Situation in der Schweiz neu als ausserordentliche Lage gemäss Epidemiengesetz ein und schloss Läden, Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe bis voraussichtlich zum 19. April 2020. Unter anderem blieben Take-aways und Bahnhöfe offen. Am 29. April 2020 entschied der Bundesrat, die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu lockern und unter anderem Restaurants ab 11. Mai 2020 wieder zu öffnen. Mit Schreiben vom 30. März 2020 verlangte die Mieterin von der Vermieterin eine Mietzinsherabsetzung ab 1. März 2020. Mit Schreiben vom 9. April 2020 lehnte die Vermieterin eine Mietzinsherabsetzung ab, bot aber an, die Zahlungsfrist für den zwischen dem 13. März und 31. Mai 2020 fälligen Mietzins zu verlängern.

 

Mit Schlichtungsgesuch vom 15. September 2020 gelangte die Mieterin an die Staatliche Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten Basel-Stadt (Schlichtungsstelle) und beantragte eine Mietzinsherabsetzung um 100 % für die Zeit vom 16. März bis 10. Mai 2020 und die Rückzahlung des während dieses Zeitraums zu viel bezahlten Mietzinses von CHF 64'719.45 nebst Zins. Nachdem im Schlichtungsverfahren keine Einigung hatte erzielt werden können, gelangte die Mieterin mit Klage vom 1. Februar 2021 an das Zivilgericht Basel-Stadt und beantragte weiterhin eine Mietzinsherabsetzung um 100 %, allerdings nur noch für den Zeitraum vom 16. bis 31. März und vom 1. bis 10. Mai 2020 sowie die Rückzahlung des während dieses Zeitraums zu viel bezahlten Mietzinses von (noch) CHF 29'274.85 nebst Zins. Mit Klageantwort vom 11. Juni 2021 beantragte die Vermieterin die Abweisung der Klage, soweit darauf einzutreten sei. An der Hauptverhandlung vom 25. Oktober 2021 beschränkte die Mieterin ihr Klagebegehren auf den Zeitraum vom 17. bis 31. März und vom 1. bis 10. Mai 2020 und reduzierte ihre Rückzahlungsforderung von CHF 29'274.85 auf CHF 23'717.75 nebst Zins. Mit schriftlich begründetem Entscheid vom 28. Januar 2022 hiess das Zivilgericht die Klage teilweise gut, reduzierte den Mietzins vom 17. bis 31. März und 1. bis 10. Mai 2020 um 30 % und verpflichtete die Vermieterin zur Rückzahlung von CHF 7'115.30 nebst Zins an die Mieterin.

 

Gegen diesen Entscheid erhob die Vermieterin am 28. Februar 2022 Berufung beim Appellationsgericht. Darin beantragt sie im Kern die vollständige Abweisung der Klage der Mieterin. Am 4. März 2022 erhob auch die Mieterin Berufung. Darin beantragt sie im Wesentlichen die vollständige Gutheissung ihrer an der Hauptverhandlung vor Zivilgericht gestellten Klagebegehren. Mit Berufungsantwort vom 7. Mai 2022 beantragt die Mieterin die Abweisung der Berufung der Vermieterin. Mit Berufungsantwort vom 23. Mai 2022 beantragt die Vermieterin ihrerseits die Abweisung der Berufung der Mieterin, sofern darauf einzutreten sei. Der Verfahrensleiter des Appellationsgerichts vereinigte mit Verfügung vom 25. Mai 2022 die beiden Berufungsverfahren. Mit unaufgefordert eingereichten Eingaben vom 29. Juni 2022 hielt die Mieterin an ihren im Berufungsverfahren gestellten Begehren fest. Die Zivilgerichtsakten wurden beigezogen. Der vorliegende Entscheid erging auf dem Zirkulationsweg.

 

 

Erwägungen

 

1.         Eintreten

 

In vermögensrechtlichen Angelegenheiten steht die Berufung gegen erstinstanzliche Entscheide offen, wenn der Streitwert der zuletzt aufrechterhaltenen Rechtsbegehren mindestens CHF 10'000.– beträgt (Art. 308 Abs. 2 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO, SR 272]). Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Endentscheid der ersten Instanz. Der Streitwert vor Zivilgericht betrug gemäss dem zuletzt aufrechterhaltenen Rechtsbegehren der Mieterin CHF 23'717.75 (Zivilgerichtsentscheid, E. 1.2). Die beiden vorliegenden Rechtsmittel sind deshalb als Berufungen zu behandeln. Auf die im Übrigen frist- und formgerecht erhobenen Berufungen ist demnach einzutreten. Zuständig zur Beurteilung der Berufungen ist das Dreiergericht des Appellationsgerichts (§ 92 Abs. 1 Ziffer 6 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]).

 

2.         Zivilgerichtsentscheid und Standpunkte der Parteien im Überblick

 

2.1      Im angefochtenen Entscheid bejahte das Zivilgericht zunächst seine Zuständigkeit, die Anwendbarkeit des vereinfachten Verfahrens, die Rechtzeitigkeit der Klage und die Zulässigkeit der Klageänderung (Zivilgerichtsentscheid, E. 1).

 

Sodann führte das Zivilgericht aus, dass die Mieterin im Kern einen Mangel am Mietobjekt während der Dauer der staatlich angeordneten Schliessung ihres Restaurantbetriebs geltend mache (E. 2.1). In diesem Zusammenhang legte es den Begriff des Mangels dar. Im vorliegenden Fall bejahte das Zivilgericht das Bestehen eines Mangels; namentlich bejahte es einen mietobjektsbezogenen Mangel beziehungsweise zog es in Zweifel, dass ein Mangel mietobjektsbezogen sein müsse (E. 2.2 bis 2.4). Der Mieterin sei es während der Dauer der staatlich angeordneten Schliessung weiterhin möglich gewesen, das Schnellimbissrestaurant als Take-away zu betreiben; in diesem Fall komme eine gänzliche Mietzinsaufhebung nicht in Frage, sondern nur eine angemessene Mietzinsherabsetzung (E. 2.5 und 2.6). Eine Befreiung der Mieterin wegen nachträglicher Unmöglichkeit der Vertragsleistung sowie eine Vertragsanpassung wegen wesentlich veränderter Umstände lehnte das Zivilgericht ab (E. 2.7 und 2.8). Das Mass der mangelbedingten Mietzinsherabsetzung schätzte es aufgrund der vorliegenden Umstände auf 30 % beziehungsweise auf CHF 7'115.30 (E. 2.9 bis 2.11).

 

Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens auferlegte das Zivilgericht die Gerichtskosten von CHF 3'000.– zu 70 % der Mieterin und zu 30 % der Vermieterin (E. 3).

 

2.2      Im Berufungsverfahren bezweifeln die Parteien nicht, dass sich eine Mietzinsherabsetzung nicht mit einer Unmöglichkeit der Vertragsleistung oder mit wesentlich veränderten Umständen begründen lässt. Sie sind sich einig, dass einzig noch eine Mietzinsherabsetzung aufgrund eines Mangels am Mietobjekt zu prüfen ist. In diesem Zusammenhang kritisiert die Vermieterin den Zivilgerichtsentscheid in zwei Punkten: Erstens habe das Zivilgericht zu Unrecht einen Mangel bejaht (Berufung der Vermieterin, Rz. 11–21). Zweitens habe es zu Unrecht angenommen, dass die Mieterin den Umfang der Mietzinsherabsetzung genügend substantiiert habe (Rz. 22). Die Mieterin erachtet den Entscheid in drei Punkten als mangelhaft: Erstens habe das Zivilgericht den Sachverhalt nicht korrekt festgestellt, so bei der Fläche und Lage des Mietobjekts und bei der Ermittlung des Kunden- und Passagieraufkommens (Berufung der Mieterin, S. 4–20). Zweitens habe es bei der Qualifizierung des Mangels das reduzierte Kundenaufkommen, die Home-Office-Pflicht für Angestellte und den Charakter der Pandemie zu wenig berücksichtigt (S. 20–27). Drittens habe es den Umfang der Mietzinsherabsetzung nicht korrekt geschätzt (S. 27–33).

 

2.3      Im Folgenden wird zunächst geprüft, ob die staatlich angeordneten Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus einen mietrechtlichen Mangel begründen. Ist die Frage zu verneinen, fehlt es an einer Grundlage für eine mangelbedingte Mietzinsherabsetzung. Ist die Frage zu bejahen, ist über den Umfang der Herabsetzung zu befinden.

 

3.         Mangel

 

3.1      Das Zivilgericht legte zunächst dar, dass das Vorliegen eines Mangels des Mietobjekts eine Mietzinsherabsetzung rechtfertige. Der Mangel charakterisiere sich dadurch, dass der Ist-Zustand des Mietobjekts vom vertraglich geschuldeten Soll-Zustand abweiche. Ein Mangel liege auch dann vor, wenn dem Mietobjekt eine von der Vermieterin versprochene Eigenschaft fehle oder es eine Eigenschaft nicht aufweise, mit welcher die Mieterin aufgrund der Bezugnahme auf den zum vereinbarten Gebrauch tauglichen Zustand habe rechnen dürfen. Durch die Bestimmung des Mietobjekts und die Bezeichnung des Verwendungszwecks im Mietvertrag werde eine stillschweigende Vereinbarung über den Zustand und die Eigenschaft des Mietobjekts getroffen. Der Begriff des Mangels setze sodann kein Fehlverhalten der Vermieterin voraus: Ein Mangel könne auch dann vorliegen, wenn die Vermieterin auf den Mangel keinen Einfluss nehmen könne oder wenn der Mangel sich aus der Umwelt oder dem Verhalten Dritter ergebe, also etwa bei Baulärm einer benachbarten Baustelle, bei vermehrtem Bahnlärm nach dem Ausbau einer Bahnstrecke oder bei vermehrtem Fluglärm infolge Flughafenausbaus, sofern der Lärm übermässig und bei Vertragsschluss nicht voraussehbar gewesen sei. Wenn das Mietobjekt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift an die Adresse der Vermieterin nicht verwendet werden könne, liege ein Mangel vor, nicht aber dann, wenn sich die Vorschrift an die Mieterin richte (wie etwa bei einem Wirtepatent) (Zivilgerichtsentscheid, E. 2.2).

 

Das Zivilgericht legte sodann den Meinungsstand in der Lehre und der Rechtsprechung dar zur Frage, ob staatlich angeordnete Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus einen mietrechtlichen Mangel begründeten. Bestimmte Autoren seien der Auffassung, dass derartige Betriebsschliessungen nicht auf das Mietobjekt und dessen Zustand zurückzuführen seien, sondern auf die von der Mieterin ausgeübte Geschäftstätigkeit (Higi). Bei derartigen Betriebsschliessungen fehle es an einer direkten Verbindung zwischen dem störenden Ereignis und dem Mietobjekt (Peduzzi). Die Vermieterin könne nicht an Garantien gebunden werden, die sich auf Elemente ausserhalb ihres Einflussbereichs bezögen; es könne von ihr keine Zusicherung erwartet werden, dass die Öffnungszeiten von Geschäften nie geändert würden oder die Behörden nie die Schliessung von Geschäften anordneten (Iynedijan). Die staatliche Schliessung des Betriebs sei nicht Folge eines Mangels, sondern ein Umstand, der den Betrieb der Mieterin angehe und damit ihr unternehmerisches Risiko betreffe (Mietgericht Zürich). Mehrere Autoren sowie das Mietgericht Zürich verträten zudem die Auffassung, dass sich die COVID-19-Verordnung 2 allein an die Adresse der Mieterin richte (Iynedijan, Bohnet, Saviaux, Streiff, Haefeli/Galli/Vischer und Reichle/Stehle). Andere Autoren hingegen bejahten einen Mangel: Die COVID-19-Verordnung 2 richte sich gleichermassen an die Vermieterinnen wie an die Mieterinnen und weise einen Bezug zum Mietobjekt auf, da sie gerade dessen Schliessung anordne. Die Verordnung müsse nicht nur von der Mieterin eingehalten werden, sondern auch von der Eigentümerin, wenn diese selbst Geschäftsinhaberin sei oder ein leerstehendes Objekt während der Geltung der Verordnung vermieten wolle (Brutschin/Rubli/Stastny und Lachat/Brutschin). Die Mieterin von Geschäftsräumen dürfe nach Treu und Glauben annehmen, dass die Räume für den Betrieb eines Geschäfts gebraucht werden könnten; durch die behördliche Schliessung sei die Führung des Betriebs nicht mehr möglich (Meier). Zudem habe die Mieterin keinen Einfluss auf den Mangel (Schenkel) (E. 2.3).

 

In Bezug auf den vorliegenden Fall hielt das Zivilgericht fest, dass in einem [...]-Schnellimbissrestaurant Essen und Trinken sowohl zur Konsumation vor Ort als auch zum Mitnehmen (Take-away) ausgegeben würden. Durch die vom Bundesrat angeordnete Schliessung der Restaurationsbetriebe sei eine Konsumation vor Ort nicht mehr möglich gewesen und die Mieterin habe nur noch ein Take-away betreiben können. Während der Dauer der Schliessung sei der tatsächliche Zustand des Mietobjekts vom vereinbarten Zustand abgewichen. Nicht zu folgen sei dem Argument der Vermieterin, wonach ein Mangel nur dann vorliegen könne, wenn sich die fragliche Anordnung – wie die Betriebsschliessung gemäss der COVID-19-Verordnung 2 – an die Vermieterin richte und auf das fragliche Mietobjekt ziele, und zwar aus mehreren Gründen: Erstens treffe es nicht zu, dass sich die COVID-19-Verordnung 2 ausschliesslich an die Mieterinnen oder Vermieterinnen richte, vielmehr betreffe sie die Allgemeinheit. Zweitens könne auch eine einschränkendeMassnahme, die sich an die Allgemeinheit richte, einen Mangel begründen. Drittens werde ein Mangel auch bei Immissionen bejaht, die ihre Ursache ausserhalb der Einflusssphäre der Vermieterin hätten und nicht zwingend objektbezogen seien. Zusammenfassend hielt das Zivilgericht fest, dass der tatsächliche Zustand des Mietobjekts während der Dauer der Schliessung der Restaurationsbetriebe vom vertraglich vereinbarten Zustand abgewichen sei, wodurch der Gebrauch des Mietobjekts eingeschränkt gewesen sei. Ein Mangel sei deshalb zu bejahen (E. 2.4).

 

3.2      Die Mieterin fasst in ihrer Berufung die Erwägungen des Zivilgerichts zum Begriff und zum Vorliegen eines Mangels zusammen, ohne diese inhaltlich zu kritisieren (Berufung der Mieterin, S. 20–24).

 

Die Vermieterin dagegen bemängelt zunächst, das Zivilgericht befasse sich nur rudimentär mit den Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Mietzinszahlungspflicht von Mieterinnen stellten, die aufgrund von behördlichen Massnahmen die Geschäftstätigkeit nicht mehr ausüben konnten. Die herrschende Lehre gehe davon aus, dass aufgrund der behördlichen Massnahmen grundsätzlich kein Mangel im mietrechtlichen Sinn resultiere. Zu dieser herrschenden Lehre gehörten insbesondere Higi und Weber, der den Entscheid des Mietgerichts Zürich vom 2. August 2021 gefällt habe (Berufung der Vermieterin, Rz. 11). Im Widerspruch zur herrschenden Lehre und zum Entscheid des Mietgerichts Zürich habe das Zivilgericht aus der behördlichen Anordnung betreffend Schliessung von Restaurationsbetrieben eine Mangelhaftigkeit des Mietobjekts und einen Mietzinsherabsetzungsanspruch abgeleitet (Rz. 12). Nicht jeder für die Mieterin nachteilige Sachverhalt stelle aber einen Mangel dar. Ein solcher liege nur vor, wenn der Zustand des Mietobjekts von den vertraglichen Abmachungen in negativer Weise abweiche. Angesichts der mietvertraglichen Hauptleistungspflicht der Vermieterin, das Mietobjekt in einem gebrauchtstauglichen Zustand zu erhalten, könne als Mangel nur ein konkreter objektbezogener Sachverhalt qualifiziert werden, der die Qualität des Mietobjekts tangiere (Rz. 13). Bei den behördlichen Massnahmen, mit welchen bestimmte Geschäftstätigkeiten untersagt worden seien, handle es sich von vornherein nicht um einen physischen Mangel, sondern höchstens um einen rechtlichen Mangel; ein solcher rechtlicher Mangel könne aber nur dann vorliegen, wenn sich die behördliche Massnahme an die Vermieterin richte und auf das konkrete Mietobjekt ziele. Von einem solchen objektbezogenen Sachverhalt könne bei den in Frage stehenden Massnahmen keine Rede sein. Vielmehr zielten diese allein auf Restaurationsbetriebe und deren Betreiberinnen ab. Die genannten Anordnungen begründeten somit keinen mietobjektsbezogenen Mangel, sondern seien betriebsbezogen und fielen in den Bereich des allein von der Betreiberin zu tragenden unternehmerischen Risikos. Anders wäre es etwas dann, wenn aufgrund eines Brands die Nutzung des Mietobjekts durch behördliche Anordnung verboten würde; in diesem Fall beträfe die behördliche Anordnung klarerweise die Vermieterin und das Mietobjekt und es läge somit ein mietrechtlicher Mangel vor (Rz. 14). Nichts an dieser Ausgangslage änderten die Erwägungen des Zivilgerichts zum mietvertraglichen Nutzungszweck im vorliegenden Fall, zum Betriebsbezug der behördlichen Massnahmen, zu deren Mietobjektsbezug und zur Vergleichbarkeit der fraglichen behördlichen Massnahmen mit übermässigen Immissionen (Rz. 15–21).

 

3.3

3.3.1   Der Herabsetzungsanspruch der Mieterin hängt im Kern davon ab, ob die staatlich angeordneten Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus einen Mangel am Mietobjekt im Sinn von Art. 259d des Obligationenrechts (OR, SR 220) bewirken. Der Mangel wird im Gesetz nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt ein Mangel vor, wenn dem Mietobjekt eine vertraglich zugesicherte oder sich aus dem vertraglichen Gebrauchszweck ergebende Eigenschaft fehlt. Worin der vorausgesetzte Gebrauch besteht und welchen Zustand des Mietobjekts die Mieterin erwarten darf, ergibt sich primär aus der Parteivereinbarung. Auch Mängel, die nicht im Mietobjekt selbst begründet sind, sondern sich aus der Umwelt oder dem Verhalten Dritter ergeben, können einen Mangel am Mietobjekt darstellen (zum Ganzen vgl. BGer 4C.39/2003 vom 23. April 2003 E. 4).

 

Im Zusammenhang mit staatlich angeordneten Betriebsschliessungen unterscheidet die überwiegende Lehre zwischen mietobjektsbezogenen und betriebsbezogenen Umständen. Mietobjektsbezogene Umstände, die den Gebrauch des Mietobjekts einschränken, bewirken demgemäss einen Mangel, für welchen die Vermieterin einzustehen hat; betriebsbezogene Umstände dagegen begründen keinen Mangel am Mietobjekt und fallen grundsätzlich in die Risikosphäre der Mieterin. Die Unterscheidung zwischen mietobjektsbezogenen und betriebsbezogenen Umständen geht auf die Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) zurück. Im Urteil XII ZR 189/09 vom 13. Juli 2011 hatte der BGH die Frage zu entscheiden, ob die Einführung eines staatlichen Rauchverbots in Restaurants einen Mangel begründet, für welchen die Vermieterin oder Verpächterin schadenersatzpflichtig wird. Die Restaurantbetreiber befürchteten aufgrund des neu eingeführten Rauchverbots ein Ausbleiben der Gäste und damit einen erheblichen Umsatzrückgang (Urteil, Rz. 1–3). Der BGH hielt dazu Folgendes fest (Rz. 9–11):

 

«[9] Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Massnahmen während eines laufenden Pachtverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmässigen Gebrauchs eines gewerblichen Pachtobjekts, kann dies nachträglich einen Mangel […] begründen […]. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Massnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Pachtobjekts in Zusammenhang steht. Andere gesetzgeberische Massnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen, fallen dagegen in den Risikobereich des Pächters […]. Denn der Verpächter von Gewerberäumen ist lediglich verpflichtet, den Pachtgegenstand während der Vertragslaufzeit in einem Zustand zu erhalten, der dem Pächter die vertraglich vorgesehene Nutzung ermöglicht. Das Verwendungsrisiko bezüglich der Pachtsache trägt bei der Gewerberaummiete dagegen grundsätzlich der Mieter […]. Dazu gehört vor allem das Risiko, mit dem Pachtobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Pächters aufgrund eines nachträglich eintretenden Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Pächters. Dies gilt auch in Fällen, in denen es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Massnahmen zu einer Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Pächters kommt.

 

[10] Unter diesen Voraussetzungen führt das durch das Nichtraucherschutzgesetz […] eingeführte Rauchverbot in öffentlichen Gaststätten nicht zu einem Mangel des Pachtgegenstandes […].

 

[11] Die mit dem gesetzlichen Rauchverbot zusammenhängende Gebrauchsbeschränkung beruht nicht auf der konkreten Beschaffenheit der Pachtsache, sondern knüpft an die betrieblichen Verhältnisse des Pächters an.»

 

In der schweizerischen Lehre nehmen Reichle/Stehle explizit auf dieses Urteil Bezug und erachten die Unterscheidung zwischen mietobjekts- und betriebsbezogenen Umständen auch für das schweizerische Mietrecht als überzeugend. Sie qualifizieren denn auch die staatlich angeordneten Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus als betriebsbezogene Umstände; bei diesen gehe es nicht um die Lage oder die Beschaffenheit des Mietobjekts, sondern um den Betrieb der Mieterin. Ein Mangel am Mietobjekt liege somit nicht vor (Reichle/Stehle, Coronavirus und Geschäftsraummiete, in: Jusletter 18. Mai 2020, Rz. 38–43). Der Hauptteil der schweizerischen Lehre nimmt zwar nicht explizit Bezug auf die Rechtsprechung des BGH, unterscheidet aber ebenfalls zwischen mietobjekts- und betriebsbezogenen Umständen und qualifiziert die staatlich angeordneten Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus ebenfalls als betriebsbezogene Einschränkungen, die keinen Mangel am Mietobjekt begründen (Higi, Gutachterliche Stellungnahme zur Frage der Herabsetzung des Mietzinses wegen Mängeln des Geschäftsraums im Zusammenhang mit der «Corona-Pandemie» vom 26. März 2020, S. 2; Iynedjian, COVID-19 – Ordre de fermeture des magasins et restaurants. Impact sur l’obligation de payer le loyer, Rechtsgutachten vom 28. März 2020, S. 2–5 ; Saviaux, Covid-19 – paiement du loyer, Rechtsgutachten vom 6. April 2020, S. 3 f.; Bohnet, Bail à loyer pour locaux commerciaux et Ordonnance 2 COVID-19, Rechtsgutachten vom 8. April 2020, S. 5–7; Haefeli/Galli/Vischer, Coronavirus SARS-CoV-2: Klärung mietrechtlicher Fragen, in: Jusletter 14. April 2020, Rz. 26–32; Peduzzi, Die Auswirkungen der Notmassnahmen in der Coronakrise auf Geschäftsmietverträge, MRA 2020, S. 3, 8 f.; Müller, Die Behandlung von Vertragsverhältnissen und von Vereinsmitgliedschaften im «Shutdown»/«Lockdown», CaS 2020, S. 214, 220; Gurbanov, DB 2021, S. 31 ff., Rz. 66–72; Rohrer, Mietrechtliche Folgen behördlich angeordneter Nutzungsbeschränkungen für Geschäftsräume, MRA 2022, S. 27, 42 f.).

 

Die ersten beiden Gerichte in der Schweiz, welche die vorliegende Frage zu entscheiden hatten, waren das Tribunal des baux et loyers de Genève und das Mietgericht Zürich. Das erstinstanzliche Genfer Gericht verneinte im Fall der staatlich angeordneten Schliessung eines «café/restaurant» (im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Coronavirus) das Vorliegen eines Mangels. Es stützte sich dabei auf den überwiegenden Teil der Lehre, der zwischen mietobjekts- und betriebsbezogenen Einschränkungen unterscheidet (Jugement du Tribunal des baux et loyers de Genève JTBL/565/2021 vom 28. Juni 2021 E. 4d). Die Betriebsschliessungen und die weiteren staatlichen Massnahmen hätten zum Ziel gehabt, die Mobilität der Bevölkerung und die Zahl der nahen Kontakte zu beschränken. Die Massnahmen hätten – so das Gericht weiter – einen Einfluss auf diejenigen Tätigkeiten gehabt, die nicht mit diesem Ziel vereinbar gewesen seien. Insofern hätten die Massnahmen nicht auf das Mietobjekt selbst abgezielt, sondern auf die Tätigkeiten, die als geeignet erschienen, die Verbreitung des Coronavirus zu fördern (E. 4e).

 

In einem Fall, der die Schliessung eines Ladenlokals betraf, schloss sich das Mietgericht Zürich ebenfalls der überwiegenden Lehre an. Unter Berufung auf Higi führte es aus, dass die Parteien mit dem Abschluss eines Mietvertrags für einen Geschäftsraum ein Dauerschuldverhältnis eingingen, in dessen Rahmen die Vermieterin der Mieterin verspreche, ihr gegen Entgelt Räume zu überlassen, in denen die Mieterin ihrem Geschäft nachgehen könne; dieses Geschäft sei aber, sofern nicht anders vereinbart, nicht Bestandteil des Mietvertrags, sondern bestehe unabhängig davon und gehöre zur Rechtssphäre der Mieterin. Eine Mitübernahme des Unternehmensrisikos der Mieterin durch die Vermieterin bedürfte einer besonderen Abrede, die im beurteilten Fall nicht vorliege (Urteil des Mietgerichts Zürich MJ210008-L vom 2. August 2021 E. 4.4)

 

Eine abweichende Auffassung vertreten in der Lehre Lachat/Brutschin. Sie führen aus, dass sich ein Mangel im Sinn des Mietrechts nicht notwendigerweise physisch und unmittelbar auf das Mietobjekt auswirke. In mindestens zwei Konstellationen sei das Mietobjekt zwar intakt und als solches gebrauchstauglich, aber dennoch mangelhaft: Erstens könnten Störungen durch die Nachbarschaft oder durch andere Bewohner des Gebäudes die Mieterin daran hindern, das Mietobjekt normal zu nutzen. Für solche Immissionen hafte die Vermieterin, obwohl sie kein Verschulden treffe und sie diese je nach Umständen nicht beseitigen könne. Zweitens könne der Mangel rechtlicher Natur sein und seinen Ursprung in einer öffentlich-rechtlichen Norm haben, die den Gebrauch des Mietobjekts verhindere oder einschränke. In diesen Fällen habe die Vermieterin auf den Mangel keinen Einfluss und die Mieterin habe dennoch Anspruch auf eine Herabsetzung des Mietzinses. Dies sei insbesondere auch dann der Fall, wenn der Staat die vorübergehende Schliessung bestimmter Betriebe anordne, um die Bevölkerung vor einer Pandemie zu schützen (Lachat/Brutschin, Die Mieten in Zeiten des Coronavirus, mp 2020, S. 99, 107–109; vgl. auch Brutschin/Rubli/Stastny, Bezahlung des Mietzinses für Geschäftsräume während der Covid-19-Epidemie, Rechtsgutachten, März 2020, S. 1–4; Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Tessins 12.2021.41 vom 4. November 2021 E. 7). Die beiden Autoren nennen damit zwei Konstellationen (Immissionen und öffentlich-rechtliche Normen), in welchen ein Mangel bejaht wird, obwohl es an einer physischen und unmittelbaren Auswirkung auf das Mietobjekt fehlt. Sie setzen sich aber nicht mit der Unterscheidung von mietobjekts- und betriebsbezogenen Einschränkungen auseinander, wie sie in der Lehre gemacht wird. Darüber hinaus ist ihre Auffassung nicht richtig, dass öffentlich-rechtliche Normen, welche die Nutzung des Mietobjekts einschränken, generell einen mietrechtlichen Mangel begründen. Vielmehr war es bis zur staatlich angeordneten Schliessung bestimmter Betriebe zur Bekämpfung des Coronavirus im März 2020 unbestritten, dass die Nutzung eines Mietobjekts nur im Rahmen der geltenden öffentlich-rechtlichen Normen ausgeübt werden darf und dass öffentlich-rechtliche Normen, die sich auf die Umsätze eines Betriebs auswirken können, keinen mietrechtlichen Mangel darstellen. So sind beispielsweise das im Jahr 2010 in der Schweiz eingeführte öffentlich-rechtliche Rauchverbot, die öffentliche-rechtliche Änderung von Ladenöffnungszeiten oder die Herabsetzung der Promillegrenze im Strassenverkehr zwar allesamt geeignet, den Umsatz eines Restaurationsbetriebs zu schmälern. Sie begründen aber unbestrittenermassen keinen mietrechtlichen Mangel (Müller, Der «Lockdown» als Herausforderung für die Vertragsparteien bei Miete und Pacht, in: COVID-19 – Ein Panorama der Rechtsfragen zur Corona-Krise, Basel 2020, S. 77 ff., Rz. 68). Es liegt deshalb nahe, auch bei den öffentlich-rechtlichen Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus einen mietrechtlichen Mangel zu verneinen.

 

Aufgrund dieser Erwägungen ist der überzeugend begründeten Unterscheidung von mietobjektsbezogenen und betriebsbezogenen Einschränkungen zu folgen, wie sie die überwiegende Lehre und die erstinstanzliche Rechtsprechung vornimmt. Ebenso ist der Einschätzung zu folgen, dass die vorliegend strittigen staatlich angeordneten Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus auf den Betrieb der Mieterin zielen – und nicht auf das Mietobjekt. Dass die Schliessung auf den Betrieb und nicht das Mietobjekt zielt, ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, dass im strittigen Mietobjekt während der Schliessung eine Vielzahl von anderen Geschäftstätigkeiten möglich geblieben wäre. Insofern betrafen die staatlich angeordneten Massnahmen nicht das Mietobjekt an sich, sondern die darin ausgeübte Geschäftstätigkeit. Handelt es sich bei den Betriebsschliessungen aber nicht um mietobjektsbezogene Umstände, ist das Vorliegen eines Mangels am Mietobjekt zu verneinen.

 

3.3.2   Die Argumente des Zivilgerichts sind nicht geeignet, das Vorliegen eines Mangels zu bejahen. Das Zivilgericht führte erstens aus, dass sich die COVID-19-Verordnung 2 (AS 2020 773) weder ausschliesslich an die Mieterinnen oder an die Vermieterinnen richte, sondern an die Allgemeinheit; damit könne die Verordnung grundsätzlich sowohl Mieterinnen als auch Vermieterinnen betreffen. Im vorliegenden Fall sei die Mieterin von der COVID-19-Verordnung 2 insofern betroffen gewesen, als sie ihren Restaurantbetrieb nicht mehr habe führen dürfen und auf den Take-away-Betrieb eingeschränkt gewesen sei. Die Vermieterin sei insofern betroffen gewesen, als sie ihre Vertragspflicht, ein zum Betrieb eines Schnellimbissrestaurants taugliches Mietobjekt zur Verfügung zu stellen, nicht vollumfänglich haben erfüllen können (Zivilgerichtsentscheid, E. 2.4 dritter Absatz). Dazu ist Folgendes festzuhalten: Entgegen der Auffassung des Zivilgerichts richten sich die in der COVID-19-Verordnung 2 angeordneten Betriebsschliessungen nicht an die Allgemeinheit, sondern vielmehr an die Betreiberinnen von Restaurants (und weiterer Betriebe) (Bohnet, Bail à loyer pour locaux commerciaux et Ordonnance 2 COVID-19, Rechtsgutachten vom 8. April 2020, S. 6; Haefeli/Galli/Vischer, Coronavirus SARS-CoV-2: Klärung mietrechtlicher Fragen, in: Jusletter 14. April 2020, Rz. 18 und 29; Müller, Die Behandlung von Vertragsverhältnissen und von Vereinsmitgliedschaften im «Shutdown»/«Lockdown», CaS 2020, S. 214, 220). Selbst wenn sich die Betriebsschliessungen an die Allgemeinheit richteten, würde dies an deren Betriebsbezogenheit nichts ändern: Wie der BGH im Fall des neu eingeführten Rauchverbots festhielt, richte sich das Rauchverbot in erster Linie an Personen, die sich in den betroffenen Gaststätten aufhielten, was ebenfalls für die Betriebsbezogenheit der Gebrauchseinschränkung durch das Rauchverbot spreche (Urteil XII ZR 189/09 vom 13. Juli 2011 Rz. 13). Diese im Fall des Rauchverbots angestellte Überlegung lässt sich zwanglos auf die vorliegende Betriebsschliessung übertragen: Auch diese beschlägt die betrieblichen Verhältnisse der Mieterin und lässt die Beschaffenheit des Mietobjekts völlig unberührt.

 

Zweitens nahm das Zivilgericht Bezug auf die von der überwiegenden Lehre vertretene Auffassung, dass nur mietobjektsbezogene, nicht aber betriebsbezogene Einschränkungen einen Mangel darstellen. Aus dieser Auffassung – so das Zivilgericht – könne nicht geschlossen werden, dass die durch eine an die Allgemeinheit gerichtete staatliche Massnahme bewirkte Nutzungseinschränkung keinen Mangel am Mietobjekt darstellen könne. Die ausdrückliche Vereinbarung, das Mietobjekt als Schnellimbissrestaurant zu benutzen, bewirke «gleichsam» den Objektbezug des an die Allgemeinheit gerichteten Verbots, Restaurants zu betreiben (Zivilgerichtsentscheid, E. 2.4 vierter Absatz). Dazu ist Folgendes festzuhalten: Zunächst richten sich die in der COVID-19-Verordnung 2 angeordneten Betriebsschliessungen nicht an die Allgemeinheit, sondern an die Mieterinnen als Betreiberinnen eines Restaurants (vgl. den vorstehenden Absatz). Insofern gründet das Argument des Zivilgerichts auf einer unzutreffenden Annahme. Und selbst wenn sich die Betriebsschliessung – wie das vom BGH beurteilte Rauchverbot – an die Allgemeinheit richtete, wäre die Einschränkung dennoch als betriebsbezogen und nicht als objektbezogen zu qualifizieren (vgl. den vorstehenden Absatz). Und schliesslich bewirkt die Vereinbarung, das Mietobjekt als Schnellimbissrestaurant zu nutzen, nicht «gleichsam» den Objektbezug des angeblich an die Allgemeinheit gerichteten Verbots. Mit der Vereinbarung, das Mietobjekt als Restaurant zu nutzen, sollen der Mieterin andere Nutzungen untersagt werden. Dagegen soll ihr keine Garantie bezüglich der Öffnungszeiten oder des Umsatzes gegeben werden, also bezüglich Umständen, die ausserhalb des Einflussbereichs der Vermieterin stehen und die den Betrieb der Mieterin betreffen (vgl. Gurbanov, DB 2021, S. 31 ff., Rz. 67–69; vgl. auch Berufung der Vermieterin, Rz. 16). Unzutreffend ist denn auch die in diesem Zusammenhang geäusserte Auffassung der Mieterin, dass die Vermieterin mit der vereinbarten Nutzung («Schnellimbiss-Restaurant») eine Leistungspflicht oder Garantie übernommen habe bezüglich Passantenlage, Zahl der Passagiere der [...], Laufkundschaft und Kunden von den Banken und Versicherungen der Umgebung (vgl. Berufungsantwort der Mieterin, Rz. 36), also bezüglich Umständen, die allesamt ausserhalb der Einflusssphäre der Vermieterin liegen.

 

Drittens verwies das Zivilgericht auf das Beispiel der Immissionen, die ebenfalls einen Mangel darstellen könnten, obwohl sie ausserhalb des Einflussbereichs der Vermieterin lägen und nicht zwingend mietobjektsbezogen seien. So sei der Objektsbezug insbesondere in Fällen von erhöhtem Fluglärm fraglich, da dieser regelmässig nicht nur ein einzelnes Mietobjekt, sondern ein ganzes Gebiet betreffe (Zivilgerichtsentscheid, E. 2.4 fünfter Absatz). Wie die Vermieterin zutreffend ausführt, ergibt sich die Objektbezogenheit der Einschränkung bereits aus dem Begriff der Immission, also der Einwirkung auf ein bestimmtes Objekt. Demgemäss kann auch Fluglärm nur dann einen – mietobjektsbezogenen – Mangel darstellen, wenn er ein bestimmtes Mietobjekt oder eine Vielzahl von bestimmten Mietobjekten betrifft (Berufung der Vermieterin, Rz. 19). Insofern besteht auch bei Immissionen ein Mietobjektsbezug. Ein solcher Bezug fehlt dagegen bei den vorliegend strittigen flächendeckenden Betriebsschliessungen.

 

3.3.3   Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die staatlich angeordneten Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus auf den Betrieb von Restaurants (und anderer Geschäftstätigkeiten) zielen, die konkrete Beschaffenheit des Mietobjekts aber unberührt lassen. Damit fehlt es an einem Mangel am Mietobjekt. Liegt kein Mangel vor, hat die Mieterin keinen Anspruch auf Mietzinsherabsetzung. Über die Frage des Umfangs der Mietzinsherabsetzung ist deshalb nicht zu befinden.

 

4.         Entscheid und Prozesskosten

 

4.1      Aus diesen Erwägungen folgt, dass das Zivilgericht die Klage der Mieterin auf Mietzinsherabsetzung zu Unrecht nicht vollständig abgewiesen hat. Demgemäss ist der angefochtene Zivilgerichtsentscheid aufzuheben und die Klage vollständig abzuweisen.

 

4.2      Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt grundsätzlich die Mieterin die Prozesskosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens (Art. 106 Abs. 1 ZPO).

 

In Verfahren vor Zivilgericht und Appellationsgericht, die ihren Ursprung bei der Schlichtungsstelle haben, betragen die Gerichtskosten zwischen CHF 200.– und CHF 500.– bei einer Nettomonatsmiete bis CHF 2'500.– bei Wohnungsmiete und bis CHF 3'500.– bei Geschäftsmiete (§ 2a Abs. 2 des Gesetzes über die Gerichtsgebühren [Gerichtsgebührengesetz, SG 154.800]). Im vorliegenden Fall beträgt der Nettomonatsmietzins rund CHF 30'000.– (vgl. Klagebeilagen 4 und 4a; Berufungsantwort der Mieterin, Rz. 3). Demgemäss ist § 2a Abs. 2 des Gerichtsgebührengesetzes nicht anwendbar. Anwendung findet vielmehr § 5 des Gerichtsgebührenreglements (GGR, SG 154.810). Daraus ergeben sich erstinstanzliche Gerichtskosten von CHF 3'000.– (Zivilgerichtsentscheid, E. 3) und zweitinstanzliche Gerichtskosten von ebenfalls CHF 3'000.– (§ 5 und § 12 GGR).

 

In Verfahren vor Zivilgericht und Appellationsgericht, die – wie das vorliegende Verfahren – ihren Ursprung bei der Schlichtungsstelle haben, werden keine Parteientschädigungen gesprochen (§ 2a Abs. 1 Gerichtsgebührengesetz).

 

 

Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Dreiergericht):

 

://:      In Gutheissung der Berufung der Berufungsklägerin 1 wird der Entscheid des Zivilgerichts vom 28. Januar 2022 (MG.2021.20) aufgehoben und die Klage der Berufungsklägerin 2 vom 1. Februar 2021 abgewiesen.

 

Die Berufung der Berufungsklägerin 2 gegen den Entscheid des Zivilgerichts vom 28. Januar 2022 (MG.2021.20) wird abgewiesen.

 

Die Berufungsklägerin 2 trägt die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens von CHF 3'000.– und die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von CHF 3'000.–.

 

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden mit dem Kostenvorschuss der Berufungsklägerin 1 von CHF 900.– und dem Kostenvorschuss der Berufungsklägerin 2 von CHF 2'100.– verrechnet, so dass die Berufungsklägerin 2 der Berufungsklägerin 1 CHF 900.– zu bezahlen hat.

 

Mitteilung an:

-       Berufungsklägerin 1

-       Berufungsklägerin 2

-       Zivilgericht Basel-Stadt

 

 

APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT

 

Der Gerichtsschreiber

 

 

lic. iur. Johannes Hermann

 

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 72 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Zivilsachen erhoben werden. In vermögensrechtlichen Angelegenheiten gilt dies nur dann, wenn der Streitwert die Beschwerdesumme gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. a oder b BGG erreicht (CHF 15'000.– bei Streitigkeiten aus Miete oder Arbeitsverhältnis bzw. CHF 30'000.– in allen übrigen Fällen) oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht (1000 Lausanne 14) einzureichen. Für die Anforderungen an deren Inhalt wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.

 

Ob an Stelle der Beschwerde in Zivilsachen ein anderes Rechtsmittel in Frage kommt (z.B. die subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht gemäss Art. 113 BGG), ergibt sich aus den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen. Wird sowohl Beschwerde in Zivilsachen als auch Verfassungsbeschwerde erhoben, sind beide Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift einzureichen.