Geschäftsnummer: ZB.2021.44 (AG.2022.89)
Instanz: Appellationsgericht
Entscheiddatum: 05.01.2022 
Erstpublikationsdatum: 12.02.2022
Aktualisierungsdatum: 12.02.2022
Titel: vorsorgliche Beweisführung
 
 

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Dreiergericht

 

ZB.2021.44

 

ENTSCHEID

 

vom 28. Januar 2022

 

 

Mitwirkende

 

Dr. Olivier Steiner, Dr. Claudius Gelzer, Dr. Andreas Traub

und Gerichtsschreiber MLaw Thomas Inoue

 

 

 

Parteien

 

A____                                                                             Berufungsklägerin

[...]                                                                                       Gesuchstellerin

vertreten durch [...], Advokat,

[...]

 

gegen

 

B____                                                                        Berufungsbeklagter 1

[...]                                                                                Gesuchsbeklagter 1

c/o [...]

vertreten durch [...], Advokatin,

[...]

 

C____                                                                         Berufungsbeklagte 2

[...]                                                                                 Gesuchsbeklagte 2

vertreten durch [...], Advokat,

[...]   

 

D____                                                                         Berufungsbeklagte 3

[...]                                                                                 Gesuchsbeklagte 3

vertreten durch [...], Advokat,

[...]

 

 

Gegenstand

 

Berufung gegen einen Entscheid des Zivilgerichts

vom 13. September 2021

 

betreffend vorsorgliche Beweisführung

 


Sachverhalt

 

Die im Jahr 1945 geborene A____ (nachfolgend Patientin) litt an einer Arthrose an der rechten Hüfte (Coxarthrose). Am 18. Juni 2018 operierte Dr. med. B____ (nachfolgend Arzt) die Patientin im X___-Spital und setzte ihr rechts ein Hüftimplantat ein. Am 28. Juni 2018 wurde sie zur Rehabilitation in die [...] Klinik [...] verlegt und am 29. Juni 2018 wieder zurück ins X___-Spital und von dort – aufgrund der Ferienabwesenheit von Dr. med. B____ – ins C____ (nachfolgend C____-Spital) gebracht. Dort wurde am 11. Juli 2018 eine Revisions-Operation an der rechten Hüfte vorgenommen. Am 24. Juli 2018 wurde die Patientin zur Rehabilitation in das Y___-Spital in Basel entlassen. Am 8. August 2018 wurde festgestellt, dass die zur Fixierung des Trochanter major (grosser Rollhügel) eingebrachte Schraube nur das Trochanterfragment zu fassen schien. Am 22. August 2018 wurde im C____-Spital eine weitere Revisions-Operation vorgenommen. Am 30. August 2018 wurde die Patientin zur weiteren Rehabilitation in das Y___-Spital entlassen. Der Verlauf in Bezug auf den Zugewinn an Funktionalität und auf die Schmerzen war protrahiert. Beim Austritt aus dem Y___-Spital am 6. Oktober 2018 war die Patientin mit Rollator für eine Strecke von mehr als 100 m selbständig mobil. Wegen Schmerzen sprach sie am 17. Dezember 2018 im Y___-Spital vor, am 4. Februar 2019 im X___-Spital und am 6. Februar 2021 im C____-Spital. Am 3. März 2019 erlitt sie eine akute Stammganglienblutung, die zu einem schweren Hemisyndrom links und zu einem achtwöchigen Aufenthalt in der Reha [...] führte.

 

Mit Gesuch um vorsorgliche Beweisführung vom 24. November 2020 ersuchte die Patientin das Zivilgericht Basel-Stadt, dass es ein medizinisches Gutachten im Fachbereich Orthopädie in Auftrag gebe, als Gutachter [...] vom [...] beauftrage und ihm die Fragen gemäss dem beiliegenden Fragenkatalog stelle. Das Gesuch richtete sich gegen den Arzt B____, das C____-Spital und die D____ (Herstellerin des Implantats; nachfolgend Herstellerin). In ihren Gesuchsantworten vom 12. und 15. März 2021 beantragten der Arzt, das C____-Spital und die Herstellerin, auf das Gesuch um vorsorgliche Beweisführung sei nicht einzutreten beziehungsweise es sei abzuweisen. Mit fakultativer Replik vom 14. Mai 2021 hielt die Patientin an ihrem Gesuch fest. Mit schriftlich begründetem Entscheid vom 13. September 2021 trat das Zivilgericht auf das Gesuch nicht ein und auferlegte der Patientin die Prozesskosten.

 

Gegen diesen Entscheid erhob die Patientin am 27. September 2021 Berufung beim Appellationsgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung ein Gutachten bei [...] einzuholen; eventualiter sei das Zivilgericht anzuweisen, auf das Gesuch um vorsorgliche Beweisführung einzutreten und das beantragte Gutachten in Auftrag zu geben. Mit Berufungsantworten vom 20. und 21. Oktober 2021 beantragen der Arzt, das C____-Spital und die Herstellerin im jeweiligen Hauptbegehren, es sei auf die Berufung nicht einzutreten beziehungsweise es sei die Berufung abzuweisen. Die Akten des Zivilgerichts wurden beigezogen. Der vorliegende Entscheid wurde auf dem Zirkulationsweg gefällt.

 

 

Erwägungen

 

1.         Eintreten

 

Mit Berufung anfechtbar sind erstinstanzliche Entscheide über vorsorgliche Massnahmen (Art. 308 Abs. 1 lit. b der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO, SR 272]). Der vorliegende Fall betrifft einen erstinstanzlichen Entscheid des Zivilgerichts über eine vorsorgliche Beweisführung und damit über eine vorsorgliche Massnahme. Dieser Entscheid ist mit Berufung anfechtbar. Die Berufung ist sodann fristgerecht innert 10 Tagen (Art. 314 Abs. 1 ZPO) und formgerecht erhoben worden, so dass darauf grundsätzlich eingetreten werden kann. Zuständig zur Beurteilung der vorliegenden Berufung ist das Dreiergericht des Appellationsgerichts (§ 92 Abs. 1 Ziffer 6 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]).

 

2.         Entscheid des Zivilgerichts

 

Das Zivilgericht hielt in seinem Entscheid in einem ersten Schritt fest, dass es sachlich und örtlich zuständig sei für die Beurteilung des Gesuchs um vorsorgliche Beweisführung, das sich gegen den Arzt, das C____-Spital und die Herstellerin richte (Zivilgerichtsentscheid, E. 1.1 und 1.2). Das Gesuch sei im summarischen Verfahren zu beurteilen (E. 1.4).

 

In einem zweiten Schritt legte das Zivilgericht die Voraussetzungen der vorsorglichen Beweisführung dar, wenn sich die Gesuchstellerin auf ein schützenswertes Interesse berufe. Als schutzwürdiges Interesse gelte die Abklärung der Prozesschancen. Die Gesuchstellerin müsse dieses schutzwürdige Interesse glaubhaft machen, was namentlich auch das Glaubhaftmachen des zu beweisenden Anspruchs gegen den oder die Gesuchsgegner beinhalte. Einzig Tatsachen, die mit dem vorsorglich abzunehmenden Beweismittel bewiesen werden sollten, müsse die Gesuchstellerin nicht glaubhaft machen, sondern lediglich substantiiert behaupten (E. 2.1).

 

In einem dritten Schritt fasste das Zivilgericht den Standpunkt der Patientin zusammen (E. 2.2). Es hielt dazu zunächst fest, dass die Patientin unter einer Vielzahl von Vorzuständen gelitten habe, die ihre Beweglichkeit und Belastbarkeit eingeschränkt hätten. Angesichts dieser Vorzustände, des späteren Hirnschlags vom 3. März 2019 und des mangelnden Muskelaufbaus bestünden ernsthafte Zweifel, dass die Operationen des Arztes und des C____-Spital den aktuellen Zustand der Patientin massgeblich verursacht hätten, zu dessen Beschreibung sie lediglich ausführe, dass sie nur noch «am Rollator einige Schritte» gehen könne beziehungsweise dass sie «nach wie vor ohne Gehhilfen nicht selbständig laufen» könne. Damit fehle es an der Glaubhaftmachung eines Sachverhalts, gestützt auf den das materielle Recht der Patientin einen Anspruch gegen den Arzt, das C____-Spital und die Herstellerin gebe (E. 2.3). Sodann nahm das Zivilgericht zu einzelnen Behauptungen der Patientin Stellung, so zur Behauptung, dass der Arzt ihrer Tochter nach der Operation vom 18. Juni 2018 von einer schwierigen Operation berichtet habe, zur Behauptung, dass die Patientin zu früh in die Rehabilitation entlassen worden sei, zur Behauptung, dass die Trochanterfraktur ungenügend therapiert worden sei, und zur Behauptung, dass die Lockerung der Schraube auf ein fehlerhaftes Implantat oder eine suboptimale Implantation zurückzuführen sei (E. 2.4). Insgesamt nenne die Patientin keine konkreten Anhaltspunkte für ärztliche Fehlbehandlungen oder schadenskausale Produktefehler. Da die Patientin kein schutzwürdiges Interesse an ihrem Gesuch glaubhaft machen könne, sei auf das Gesuch nicht einzutreten (E. 2.5 und 2.6).

 

Abschliessend auferlegte das Zivilgericht der Patientin die Gerichtskosten von CHF 2'000.– und Parteientschädigungen von je CHF 6'437.50 an den Arzt, C____-Spital und die Herstellerin (E. 3).

 

3.         Voraussetzungen der vorsorglichen Beweisführung

 

3.1      Die Patientin macht in ihrer Berufung geltend, sie habe in ihrem Gesuch um vorsorgliche Beweisführung vom 24. November 2020 und ihrer Replik vom 14. Mai 2021 substantiiert und schlüssig aufgezeigt, dass die Behandlung durch den Arzt und das C____-Spital Fragen nach dem Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung aufwerfe und dass das Hüftimplantat der Herstellerin mangelhaft sein könne. Ebenfalls habe sie dargelegt, dass sie durch diese möglichen Sorgfaltspflichtverletzungen einen Gesundheitsschaden erlitten habe, der zu einem finanziellen Schaden führe. Die vom Zivilgericht gerügte mangelhafte Substantiierung liege somit nicht vor (Berufung, Rz 12). Die Patientin legt sodann den Sachverhalt aus ihrer Sicht dar (Rz 14 und 15). Im Einzelnen führt die Patientin in der Berufung aus, dass sie bereits in ihrem Gesuch um vorsorgliche Beweisführung die beiden möglichen Sorgfaltspflichtverletzungen substantiiert dargelegt habe, so eine suboptimale Implantation der Hüftprothese und ein Versagen des Implantats. Das Zivilgericht habe dies faktenwidrig verneint (Rz 16–20). In Bezug auf die Kausalität zwischen Sorgfaltspflichtverletzung(en) und Schaden macht die Patientin geltend, dass das von ihr beantragte medizinische Gutachten gerade dazu diene, die Kausalitätsfrage zu klären. Die Kausalitätsfrage sei somit ein Beweisthema und müsse deshalb nicht substantiiert dargelegt werden (Rz 21; vgl. auch Rz 29 und 30). Schliesslich führt die Patientin aus, dass sie auch den Gesundheitsschaden im Bereich der rechten Hüfte bereits vor Zivilgericht substantiiert dargelegt und belegt habe, so mit Arztberichten ihrer Hausärztin, von [...], [...] und [...] und mit Fotos (Rz 22–27). Ein solcher Gesundheitsschaden führe – so die Patientin – «ohne weiteres auch zu einem massiven finanziellen Schaden, was als gerichtsnotorisch bezeichnet werden muss». Sie habe vor dem 18. Juni 2018 noch eine Arztpraxis geführt und habe diese als Folge der Behandlung aufgeben müssen. Zudem sei «ein massiver Haushaltsführungs- und Pflegeschaden entstanden» und habe sie «aufgrund der erlittenen seelischen Unbill als Folge ihrer Invalidisierung auch Anspruch auf eine Genugtuung». Das Schadensquantitativ sei momentan noch nicht absehbar und bilde «auch nicht Bestandteil dieses Prozesses, bei dem es einzig um die Frage nach Abklärung der Prozesschancen geht». Zur Geltendmachung des entstandenen Schadens müsse zuerst das Resultat der Expertise abgewartet werden (Rz 28).

 

3.2      Art. 158 ZPO regelt die vorsorgliche Beweisführung. Nach Abs. 1 lit. b dieser Bestimmung nimmt das Gericht jederzeit Beweis ab, wenn die Gesuchstellerin eine Gefährdung eines Beweismittels oder ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht.

 

Mit dem Begriff des schutzwürdigen Interesses wird auf die Möglichkeit Bezug genommen, eine vorsorgliche Beweisführung zur Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten durchzuführen. Diese Möglichkeit soll dazu beitragen, aussichtslose Prozesse zu vermeiden. Zum Glaubhaftmachen eines schutzwürdigen Interesses an einer vorsorglichen Beweisführung genügt die blosse Behauptung des Bedürfnisses, Beweis- und Prozessaussichten abzuklären, freilich nicht. Eine vorsorgliche Beweisführung kann nur mit Blick auf einen konkreten materiellrechtlichen Anspruch verlangt werden, hängt doch das Interesse an einer Beweisabnahme vom Interesse an der Durchsetzung eines damit zu beweisenden Anspruchs ab. Die Gesuchstellerin, die sich auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO stützt, muss daher glaubhaft machen, dass ein Sachverhalt vorliegt, gestützt auf den ihr das materielle Recht einen Anspruch gegen den Gesuchsgegner gewährt und zu dessen Beweis das abzunehmende Beweismittel dienen kann. Lediglich für Tatsachen, die gerade mit dem vorsorglich abzunehmenden Beweismittel bewiesen werden sollen, kann keine eigentliche Glaubhaftmachung verlangt werden, denn sonst würde der Zweck von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO vereitelt, nämlich die vorprozessuale Abklärung von Beweisaussichten zu ermöglichen. Stellt das abzunehmende Beweismittel das einzige dar, mit dem die Gesuchstellerin ihren Anspruch beweisen kann, muss es genügen, dass sie das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen lediglich substantiiert und schlüssig behauptet (vgl. zum Ganzen BGE 140 III 16 E. 2.2.1 und 2.2.2 S. 19 mit Hinweisen).

 

Die Anforderungen an das Glaubhaftmachen dürfen freilich nicht überspannt werden, geht es doch beim Verfahren der vorsorglichen Beweisführung noch nicht um die Prüfung der Begründetheit des Hauptanspruchs. Abgesehen vom Glaubhaftmachen eines Hauptsacheanspruchs beziehungsweise vom schlüssigen und substantiierten Behaupten der anspruchsbegründenden Tatsachen, die durch das vorsorglich beantragte Beweismittel bewiesen werden sollen, sind an das Bestehen eines schutzwürdigen Interesses keine hohen Anforderungen zu stellen. Ein solches wäre namentlich etwa dann zu verneinen, wenn das beantragte Beweismittel untauglich ist, muss doch das vorsorglich abgenommene Beweismittel in einem allfälligen Hauptprozess verwertet werden können. Ebenfalls kein Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung besteht sodann, wenn es der Gesuchstellerin lediglich darum geht, ein bereits vorliegendes Gutachten mit einem weiteren Gutachten in Frage zu stellen (vgl. zum Ganzen BGE 140 III 16 E. 2.2.2 S. 20 mit Hinweisen).

 

3.3

3.3.1   Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob das Zivilgericht zu Recht annahm, dass die Patientin die Hauptsacheansprüche nicht glaubhaft gemacht hat. Die beiden von der Patientin geltend gemachten Hauptsacheansprüche – Schadenersatz und Genugtuung – setzen mindestens eine Sorgfaltspflichtverletzung, einen finanziellen Schaden (oder eine seelische Unbill) und einen Kausalzusammenhang zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Schaden (oder der seelischen Unbill) voraus. Das Zivilgericht hielt im Kern diese drei Anspruchsvoraussetzungen für nicht glaubhaft gemacht. Erstens erschöpfe sich die Beschreibung des Schadens darin, dass die Patientin nur noch «am Rollator einige Schritte» gehen könne beziehungsweise dass sie «nach wie vor ohne Gehhilfen nicht selbständig laufen» könne (Zivilgerichtsentscheid, E. 2.3 S. 16 oben). Zweitens nenne die Patientin keine konkreten Anhaltspunkte für eine Sorgfaltspflichtverletzung (Behandlungsfehler oder Produktefehler) (E. 2.6). Drittens sei auch ein Kausalzusammenhang zwischen den angeblich fehlerhaft durchgeführten Operationen und dem Schaden (und der seelischen Unbill) nicht glaubhaft. Der Schaden beruhe eher auf anderen Ursachen wie dem Hirnschlag vom 3. März 2019, den Vorzuständen und der nicht erfolgten Verbesserung der Muskelfunktionalität (E. 2.3 S. 16 oben).

 

Die Frage, ob das Zivilgericht zu Recht annahm, dass die Patientin die beiden Voraussetzungen der Sorgfaltspflichtverletzung und des Kausalzusammenhangs hätte glaubhaft machen müssen und dies nicht getan habe, kann offenbleiben. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. oben E. 3.2) Tatsachen, die mit dem vorsorglich angeordneten Gutachten bewiesen werden sollen, nicht glaubhaft gemacht, sondern lediglich substantiiert und schlüssig behauptet werden müssen. Falls die beiden Voraussetzungen der Sorgfaltspflichtverletzung und des Kausalzusammenhangs gerade mit dem beantragten Gutachten hätten bewiesen werden sollen, müsste es demnach eigentlich genügen, dass die Patientin diese beiden Voraussetzungen substantiiert und schlüssig behauptet. Selbst wenn ein substantiiertes und schlüssiges Behaupten der Sorgfaltspflichtverletzung und des Kausalzusammenhangs im vorliegenden Fall genügen würde, würde sich die Frage stellen, ob die Patientin dies im vorliegenden Fall getan hat oder die an sich schlüssigen Behauptungen durch schlüssige Bestreitungen des Arztes, des C____-Spital und der Herstellerin entkräftet wurden. Auch diese Frage kann offenbleiben, da die Patientin die weitere Voraussetzung ihrer materiellrechtlichen Ansprüche – den Schaden beziehungsweise die seelische Unbill – nicht glaubhaft gemacht hat, weder vor dem Zivilgericht noch vor dem Appellationsgericht.

 

3.3.2   Das Zivilgericht hielt zur Frage des Schadens nämlich zu Recht fest, dass die Beschreibung des Zustands, unter dem die Patientin heute leide, sich darauf beschränke, dass sie nur noch «am Rollator einige Schritte» gehen könne beziehungsweise dass sie «nach wie vor ohne Gehhilfen nicht selbständig laufen» könne (Zivilgerichtsentscheid, E. 2.3 S. 16 oben). Damit legte die Patientin vor Zivilgericht den Schaden nur rudimentär und die seelische Unbill gar nicht dar.

 

In ihrer Berufung wendet die Patientin nun im Wesentlichen ein, es sei «gerichtsnotorisch», dass ein invalidisierender Gesundheitsschaden «zu einem massiven finanziellen Schaden» führe. Zudem sei ihr «ein massiver Haushaltsführungs- und Pflegeschaden entstanden» und habe sie «aufgrund der erlittenen seelischen Unbill» Anspruch auf eine Genugtuung» (Berufung, Rz 28). Damit kommt die Patientin ihrer Pflicht zur Berufungsbegründung nicht nach: Mit der Einlegung der Berufung setzt die Berufungsklägerin einen eigenständigen Kontrollprozess vor der Rechtsmittelinstanz in Gang. Sie stellt die Behauptung auf, der angefochtene Entscheid leide an Mängeln, müsse auf diese hin kontrolliert und bei ausgewiesener Unrichtigkeit durch einen besseren Entscheid ersetzt werden. Diese Behauptung muss sie begründen, indem sie die Mängelvorwürfe im Einzelnen erklärt und auf genau bezeichnete Erwägungen im angefochtenen Entscheid bezieht. Beurteilungsgegenstand im Berufungsprozess ist damit nicht mehr primär, ob die vor Zivilgericht gestellten Begehren gestützt auf den angeführten Lebenssachverhalt begründet sind, sondern ob die gegen den angefochtenen Entscheid formulierten Beanstandungen zutreffen. Die Berufungsbegründung muss sich begriffsnotwendig auf den angefochtenen Entscheid beziehen (zum Ganzen vgl. Hurni, Der Rechtsmittelprozess der ZPO. Grundlagen und einige wichtige Aspekte, in: ZBJV 2020, S. 71 ff., 75). Den Begründungsanforderungen genügt daher eine Berufungsklägerin nicht, wenn sie lediglich auf die vor der ersten Instanz vorgetragenen Vorbringen verweist, sich mit Hinweisen auf frühere Prozesshandlungen zufriedengibt oder den angefochtenen Entscheid in allgemeiner Weise kritisiert. Die Begründung muss hinreichend genau und eindeutig sein, um von der Berufungsinstanz mühelos verstanden werden zu können. Dies setzt voraus, dass die Berufungsklägerin im Einzelnen die vorinstanzlichen Erwägungen bezeichnet, die sie anficht, und die Aktenstücke nennt, auf denen ihre Kritik beruht (BGE 138 III 374 E. 4.3.1 S. 375; BGer 5A_141/2014 vom 28. April 2014 E. 2.4). Erforderlich ist also (1) die Formulierung einer Gegenargumentation (2) gegenüber konkreten Erwägungen (3) unter Angabe von Belegstellen. Unter Letzteren sind nicht etwa Textstellen aus Kommentaren oder Lehrbüchern gemeint, sondern konkrete, in den Akten liegende Beweismittel (Hurni, a.a.O., S. 76 mit Nachweisen).

 

Im vorliegenden Fall fehlt es in der Berufung an allen drei Voraussetzungen: (1) Der Einschätzung des Zivilgerichts, dass der finanzielle Schaden und die seelische Unbill nicht genügend beschrieben sei, wird in der Berufung keine eigentliche Gegenargumentation entgegengesetzt, sondern lediglich die Behauptung aufgestellt, dass ein massiver finanzieller Schaden in Fällen wie dem vorliegenden «gerichtsnotorisch» sei und dass sie eine seelische Unbill erlitten habe; dies stellt keine eigentliche Gegenargumentation gegen die zivilgerichtliche Einschätzung dar. (2) Die Patientin bezeichnet sodann die angefochtene Erwägung des Zivilgerichts nicht. (3) Schliesslich legt sie auch nicht dar, an welcher Stelle im zivilgerichtlichen Verfahren sie den finanziellen Schaden und die seelische Unbill (hinreichend) dargelegt hat. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanz, das 15-seitige Gesuch der Patientin um vorsorgliche Beweisabnahme und ihre 16-seitige Replik nach den von ihr möglicherweise gemeinten Fundstellen zu durchsuchen. Auf die entsprechende Kritik kann deshalb aufgrund der ungenügenden Berufungsbegründung nicht eingetreten werden.

 

3.3.3   Selbst wenn die Berufungsbegründung der Patientin genügen würde und auf ihre Kritik einzutreten wäre, würde dies nichts ändern. Würde man nämlich an Stelle der Patientin die Ausführungen zusammensuchen, die sie vor Zivilgericht zum finanziellen Schaden und zur seelischen Unbill gemacht hat, wären diese nicht geeignet, einen Schaden und eine seelische Unbill glaubhaft zu machen.

 

Zunächst legte die Patientin vor Zivilgericht dar, dass es nach der Operation vom 18. Juni 2018 «zu diversen gesundheitlichen Komplikationen [kam], welche Folgebehandlungen nach sich zogen und die heute zu einer invalidisierenden Gesundheitseinschränkung führten und die Gesuchstellerin zum Pflegefall werden liess» (Gesuch vom 24. November 2020, Rz 7). Sodann sei sie «in ihrem Alltag auf Dritthilfe angewiesen und kann nicht mehr alleine leben, so dass ein Pflege- und Haushaltsführungsschaden besteht. Vor dem Eingriff führte die Gesuchstellerin noch eine Arztpraxis, die sie wegen der vollständigen Erwerbsunfähigkeit schliessen musste. Der erlittene finanzielle Schaden ist daher beträchtlich» (Rz 9). Im Weiteren sei sie «bis zu ihrem Eintritt in das X___-Spital […] arbeitsfähig» gewesen und habe «eine eigene Arztpraxis» betrieben. Sie sei seit dem Eingriff vom 18. Juni 2018 «invalid und kann nur noch am Rollator einige Schritte gehen. Sie ist in ihrer Wohnung gefangen und auf eine ständige Betreuerin angewiesen» (Rz 44). In ihrer Replik vom 14. Mai 2021 wiederholte sie ihre Angaben zum bisherigen uneingeschränkten Betreiben einer Arztpraxis (Replik, Rz 14), berief sich auf zwei Arztberichte, die «allein» schon belegten, dass «die hier interessierenden Eingriffe einen erheblichen Gesundheitsschaden verursachten» (Rz 22) und hielt den Einwänden des Arztes, des C____-Spital und der Herstellerin zur Frage des Glaubhaftmachens eines Schadens im Wesentlichen entgegen, es sei «vielfältig dokumentiert», dass sie «an einem schweren persistierenden Gesundheitsschaden leidet» (Rz 27).

 

Wie in E. 3.2 dargelegt wurde, muss die Gesuchstellerin, die sich auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO stützt, das Vorliegen eines materiellrechtlichen Anspruchs nicht beweisen, sehr wohl aber glaubhaft machen (Tatsachen, die nicht mit dem vorsorglichen Beweismittel bewiesen werden sollen) oder schlüssig und substantiiert behaupten (Tatsachen, die gerade mit dem vorsorglichen Beweismittel bewiesen werden sollen). Im vorliegenden Fall hätte die Patientin den finanziellen Schaden und die seelische Unbill nicht mit dem vorsorglich anzuordnenden Gutachten beweisen können. Sie hätte den finanziellen Schaden und die seelische Unbill also vor Zivilgericht nicht nur schlüssig und substantiiert behaupten, sondern glaubhaft machen müssen. An einem Glaubhaftmachen des finanziellen Schadens fehlt es aber: So machte die Patientin vor Zivilgericht insbesondere keinerlei Angaben zur Frage, ob und allenfalls in welcher Höhe sie durch die Aufgabe ihrer Arztpraxis einen Verdienstausfall erlitten hat; es bleibt völlig unklar, ob und allenfalls welches Einkommen die im Zeitpunkt der Operationen 73-jährige Patientin mit ihrer Arztpraxis erzielte. Zudem liegen zu dieser Frage auch keine Belege vor. Auch zur Frage des Pflege- und Haushaltsführungsschadens fehlt es an jeglichen Angaben und Belegen zu den diesbezüglichen Ausgaben der Patientin. Schliesslich fehlt es auch an substantiierten Angaben zur seelischen Unbill. Unter diesen Umständen nahm das Zivilgericht zu Recht an, dass die Patientin einen finanziellen Schaden und eine seelische Unbill nicht glaubhaft gemacht hat. Wurde aber eine zentrale Voraussetzung des Schadenersatz- und des Genugtuungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht, trat das Zivilgericht auf das Gesuch der Patientin um vorsorgliche Beweisführung zu Recht nicht ein (vgl. zu einer sehr ähnlichen Konstellation auch BGer 4A_488/2012 vom 5. November 2012 E. 2.3 und 2.4 [Fehlen von substantiierten Behauptungen bezüglich Schaden und Genugtuung]).

 

4.         Berufungsentscheid und Prozesskosten

 

4.1      Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Zivilgericht zu Recht annahm, dass die Patientin die materiellrechtlichen Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nicht glaubhaft gemacht hat. Es trat deshalb richtigerweise auf das Gesuch der Patientin um vorsorgliche Beweisführung nicht ein. Die gegen den Zivilgerichtsentscheid erhobene Berufung ist folglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

 

4.2      Dem Ausgang des Berufungsverfahrens entsprechend sind die Prozesskosten der unterliegenden Patientin aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens richten sich nach den erstinstanzlichen Ansätzen (§ 12 des Reglements über die Gerichtsgebühren [GGR, SG 154.810]). In summarischen Verfahren beträgt die Grundgebühr CHF 200.– bis CHF 20'000.– (§ 10 Abs. 1 GGR). Im vorliegenden Fall rechtfertigt es sich, die Gerichtskosten auf CHF 2'000.– festzusetzen (vgl. auch Zivilgerichtsentscheid, E. 3 zweiter Absatz).

 

Die Patientin bezahlt den drei Berufungsbeklagten (Arzt, C____-Spital und Herstellerin) sodann eine Parteientschädigung. Diese berechnet sich im Berufungsverfahren nach den gleichen Grundsätzen wie im erstinstanzlichen Verfahren (§ 12 Abs. 1 des Honorarreglements [HoR, SG 291.400]). Im Einklang mit den unbestrittenen Erwägungen des Zivilgerichts ist nicht von einer vermögensrechtlichen Streitigkeit mit bestimmten oder bestimmbarem Streitwert auszugehen (vgl. dazu Zivilgerichtsentscheid, E. 3 dritter Absatz; § 3 HoR). In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten bemisst sich das Honorar nach dem Zeitaufwand (§ 11 Abs. 1 HoR). Für die Berechnung der Parteientschädigung kommt gemäss der Praxis des Appellationsgericht im Regelfall ein Stundenansatz von CHF 250.– zur Anwendung, unabhängig vom mit der jeweiligen Parteivertretung vereinbarten Stundenansatz (AGE ZB.2016.1 vom 1. April 2016 E. 4).

 

Bei einem unbestrittenen Aufwand von 33 Stunden und 5 Minuten (Honorarrechnung vom 21. Oktober 2021) ergibt sich für den Arzt eine Parteientschädigung von CHF 8'270.–, zuzüglich Auslagen von CHF 248.– (3 % der Parteientschädigung) und Mehrwertsteuer von 7,7 %.

 

Für die Herstellerin ergibt sich bei einem unbestrittenen Aufwand von 27 Stunden und 48 Minuten (Honorarrechnung vom 21. Oktober 2021) eine Parteientschädigung von CHF 6'950.–, zuzüglich Auslagen von CHF 209.– (3 % der Parteientschädigung). Nach ständiger Rechtsprechung des Appellationsgerichts wird einer mehrwertsteuerpflichtigen Partei, die den Prozess im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit geführt hat, die Parteientschädigung ohne Mehrwertsteuer zugesprochen, sofern sie nicht ausdrücklich einen Zuschlag für die Mehrwertsteuer beantragt und nachweist, dass sie durch die Mehrwertsteuer belastet ist (AGE ZB.2017.29 vom 14. September 2017 E. 7.2 und ZB.2017.1 vom 29. März 2017 E. 4.3). Gemäss UID-Register ist die Herstellerin mehrwertsteuerpflichtig. Das vorliegende Verfahren betrifft ihre unternehmerische Tätigkeit. Mit ihrer Honorarnote hat sie zwar die Entschädigungsfolgen inklusive Mehrwertsteuer beantragt (Rechtsbegehren 4). Sie legte jedoch nicht dar, dass sie trotz Möglichkeit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt und damit ausnahmsweise durch die Mehrwertsteuer belastet wäre (vgl. Berufungsantwort der Herstellerin, Rz 95). Die Parteientschädigung zu Gunsten der Herstellerin ist daher ohne Mehrwertsteuer zuzusprechen.

 

Dem C____-Spital, das keine Honorarnote eingereicht hat, ist eine Parteientschädigung in derselben Höhe wie der Herstellerin zuzusprechen, ebenfalls ohne Mehrwertsteuer, da das C____-Spital gemäss UID-Register mehrwertsteuerpflichtig ist, das vorliegende Verfahren dessen unternehmerische Tätigkeit betrifft und nicht dargelegt wird, dass es trotz Möglichkeit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt und damit ausnahmsweise durch die Mehrwertsteuer belastet wäre (vgl. Berufungsantwort C____-Spital, S. 17).

 

 

Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Dreiergericht):

 

://:        Die Berufung gegen den Entscheid des Zivilgerichts Basel-Stadt vom 13. September 2021 (EX.2020.4) wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

 

Die Berufungsklägerin trägt die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von CHF 2’000.–.

 

Die Berufungsklägerin bezahlt dem Berufungsbeklagten 1 eine Parteientschädigung von CHF 8'270.–, zuzüglich Auslagen von CHF 248.– sowie 7,7 % Mehrwertsteuer von CHF 655.90.

 

Die Berufungsklägerin bezahlt der Berufungsbeklagten 2 eine Parteientschädigung von CHF 6'950.–, zuzüglich Auslagen von CHF 209.–.

 

Die Berufungsklägerin bezahlt der Berufungsbeklagten 3 eine Parteientschädigung von CHF 6'950.–, zuzüglich Auslagen von CHF 209.–.

 

Mitteilung an:

-       Berufungsklägerin

-       Berufungsbeklagter 1

-       Berufungsbeklagte 2

-       Berufungsbeklagte 3

-       Zivilgericht Basel-Stadt

 

APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT

 

Der Gerichtsschreiber

 

 

MLaw Thomas Inoue

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 72 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Zivilsachen erhoben werden. In vermögensrechtlichen Angelegenheiten gilt dies nur dann, wenn der Streitwert die Beschwerdesumme gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. a oder b BGG erreicht (CHF 15'000.– bei Streitigkeiten aus Miete oder Arbeitsverhältnis bzw. CHF 30'000.– in allen übrigen Fällen) oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht (1000 Lausanne 14) einzureichen. Für die Anforderungen an deren Inhalt wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.

 

Ob an Stelle der Beschwerde in Zivilsachen ein anderes Rechtsmittel in Frage kommt (z.B. die subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht gemäss Art. 113 BGG), ergibt sich aus den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen. Wird sowohl Beschwerde in Zivilsachen als auch Verfassungsbeschwerde erhoben, sind beide Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift einzureichen.